Dienstag, 20. Juni 2017

Die Schere im Kopf (Juni 2017)

Da hat sie mich nun erwischt, die große Frage, was darf man schreiben und was sollte man tunlichst lassen. Ausgelöst wurde sie durch einen Rundbrief, der mich von meinen grünen Freunden erreichte. In ihm wurde an den Beginn des Fastenmonats Ramadan erinnert und allen Mitfastenden eine friedliche und segensreiche Zeit gewünscht. Eine nette, freundliche Geste den Anhängern einer Religion gegenüber, die mittlerweile einen nicht unbedeutenden Teil unserer kulturell und religiös vielfältigen Stadtgesellschaft ausmachen. Aber so richtige Freude über diese große Geste wollte bei mir nicht aufkommen. Nicht, weil ich mit Religion seit einigen Jahrzehnten nicht mehr viel am Hut habe. Da soll jeder und jede nach seiner und ihrer Fasson selig werden. Und so hatte es mich eigentlich nie gestört, dass in besagten Rundbriefen weder auf ein gesegnetes Weihnachtsfest oder ein fröhliches Ostern (oder was man noch so sagt zu den diversen religiösen Anlässen) hingewiesen wurde. Da gibt’s ja auch noch das jüdische Hanukkah und sicherlich etliche mir noch weniger geläufige Fest- und Feiertage, die es zu beglückwünschen gilt. Auch der evangelische Kirchentag, der an jenem Wochenende stattgefunden hatte und den evangelische Christen sicherlich viel bedeutete, fand trotz Lutherjahr keine Erwähnung. Warum also der besondere Hinweis auf die muslimische Fastenzeit? War doch die christliche Fastenzeit den Rundbriefschreibern keine Zeile wert. Im Gegenteil, den aufopferungsvollen Kampf gegen das Tanzverbot am Karfreitag haben sich die Grünen, insbesondere die tanzfreudigen Junggrünen in den vergangenen Jahren immer mal wieder auf die Fahnen geschrieben. Und da war sie dann, die Schere: darf ich über diese einseitige Behandlung von Religionen und die mir dadurch etwas anbiedernd erscheinende Haltung gegenüber dem Ramadan bei meinen Grünen meckern? Wir können die Religionen als Privatsache ganz draußen vor lassen und uns allenthalben an den durch sie veranlassten Ferien und freien Tagen erfreuen. Oder wir setzen uns kritisch mit ihnen auseinander. Siehe das Karfreitagstanzverbot oder aber auch ein Fastenverbot für Schulkinder. Religionsfreiheit ist untrennbar verbunden mit der Freiheit der Religionskritik. Hier tut sich aber gerade der Islam in seinen vorherrschenden Ausprägungen immer noch äußerst schwer. Da muss auch eine zur Schau gestellte Islamfreundlichkeit hinterfragt werden dürfen, mal so ganz ohne Schere im Kopf bzw. der PC-Tastatur.

Eine andere Art unhinterfragter Selbstzensur macht sich derzeit breit: ganz lapidar wird in der Berichterstattung über irrsinnige Terroranschläge dann verkündet, dass der oder die Täter erschossen wurden. Ja richtig, waren ja auch Menschen der übelsten Sorte, die zuvor Unschuldige getötet hatten. Wirklich richtig? Traut man sich eigentlich zu sagen, dass hier die Todesstrafe durch die Hintertür bzw. den Lauf einer Polizeipistole eingeführt wird. Kritisches Hinterfragen, ob denn der Todesschuss notwendig war, statt den Täter durch gezielte Schüsse kampf- und bewegungsunfähig zu machen, führte ja schon mal zu einem vorwurfsvollen Aufschrei des veröffentlichten gesunden Volksempfindens. Die Tat muss nur scheußlich genug sein, dann wird die ganze humanistisch geprägte Rechtsstaatlichkeit mir nichts dir nichts über Bord geworfen, um sich zwei oder drei Artikel später über Hinrichtungen in den USA zu mokieren. Und in den TV-Krimis wird das Feld ja schon vorbereitet, dass der finale „Rettungs“- also Todesschuss immer mehr zum Standard wird, um einen Täter auszuschalten. Hier bekommt der unselige Spruch rechter Schreiberlinge „man wird ja wohl nochmal sagen dürfen“, um dann rassistische und menschenverachtende Hasstiraden loszuwerden, endlich mal einen positiven Sinn: ja, man muss sagen dürfen, dass das Verbot der Todesstrafe auch für grausame und unmenschliche Terroristen gilt.