Montag, 24. Februar 2020

Die Stunde der Experten (Februar 2020)

Große Ereignisse, verrückte und schreckliche, rufen sie allenthalben wieder auf den Plan, vornehmlich in den wichtigtuerischen Talkshows, die insbesondere die öffentlich-rechtlichen TV-Stationen überfluten: die Experten für die besonderen Situationen. Da wirbelt die thüringische Politposse mal kurz die Republik durcheinander und die Politikerklärer stehen Schlange. Geschmückt natürlich mit dem Professorentitel für Politikwissenschaft oder manches Mal mit dem obskuren Untertitel „Politikberater“ werden Einsichten unters Volk gestreut, die diesem schon nach den ersten beiden Meldungen in Tagesschau und heute-Nachrichten klar waren. Die Erben der alten DDR-Blockparteien LDPD und Ost-CDU haben sich auf ein schmutziges Spiel mit der rechts-rassistischen AFD eigelassen, um das thüringische Volk vor der erneuten Machtübernahme durch einen verkappten Sozi aus dem Westen zu bewahren, der ja schon die Jahre zuvor mit seiner SED-Nachfolgeorganisation gemeinsam mit SPD und Grünen den schönen Freistaat zurück in der real existierenden Sozialismus schubsen wollte. Und nun rudern sie erschreckt zurück, die selbsternannten Vertreter der „Mitte“, zerlegen sich selbst, und die Politikexperten erklären dem staunenden Fußvolk, dass die Parteien der Mitte sich selbst zerlegen. Welch ein Erkenntnisgewinn.

Und auch nach den schrecklichen rassistisch motivierten und von rechten Verbaltätern mit zu verantwortenden Morden in Hanau haben wir sie wieder auch dem Bildschirm, die Terrorismusexperten, die uns alle Hintergründe, vor allem aber die naheliegenden noch einmal mit wichtigem Gesichtsausdruck erklären. Da werden sicherlich auch viele richtige Analysen geliefert, nur unterscheiden die sich häufig von denen vorangegangener Terrortaten nur durch den Austausch der jeweiligen Daten und Namen. Aber wir brauchen mehr als nur die Hinweise auf eine immer gewaltbereitere rechte Szene und auf eine die sie legitimierende Sprache einer Partei, in der Faschisten das Sagen haben. Wir müssen auch den Mut haben, jene, die diese Partei wählen, nicht als verlorene Schäfchen zu betrachten, die es zurück zu gewinnen gilt, sondern sie als ideologische Unterstützer zu brandmarken. Die Hetzer und Hasser müssen sich für ihre verbale Gewalt auf den diversen Plattformen und in den sogenannten sozialen Medien verantworten und dürfen sich nicht im Schutz der Anonymität verbergen. Wieso muss ich mich beim Kauf einer Handy-Simkarte ausweisen und legitimieren, beim Einrichten eines facebook-accounts aber nicht? Das ist keine Einschränkung der freien Meinungsäußerung, aber der Zwang, Verantwortung für eben diese Meinungsäußerung zu übernehmen. Wir müssen auch fragen, wieso vereinsmäßiges Schießen mit todbringenden Waffen als Sport verharmlost wird und die Vereinsmitglieder dann diese Waffen und die Munition auch noch mit nach Hause nehmen dürfen. Wir müssen aber auch immer jene mit in die Verantwortung nehmen, die durch Einschränkung rechtsstaatlicher Normen (Orban, Trump) oder der Menschenrechte (Erdogan) die Herabsetzung der Hemmschwelle zu gewaltbereitem Handeln legitimieren

Aber – und jetzt kommt der Glatteisteil – ist nicht auch der leichtfertige Gebrauch des Rassismusvorwurfs mit verantwortlich, den wahren Rassismus zu verharmlosen? Islamkritik, Religionskritik überhaupt, ja sogar Religionsfeindlichkeit wird ja erst da zum Rassismus, wo ich den Angehörigen dieser Glaubensrichtungen die Existenzberechtigung abspreche. Und es ist kein Rassismus, wenn ich die Überlegungen eines Imams, in Griesheim ein muslimisches Schwimmbad zu bauen, für bescheuert halte (was für ein katholisches genauso gilt).