Ja, da kommt die Erinnerung. Zumindest die Älteren unter der geschätzten Leserschaft mögen sich noch daran erinnern, dass bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrtausends am Sonntag zwar der alkoholgetränkte Frühschoppen vor oder nach dem Kirchgang möglich war, frisches Backwerk fürs sonntägliche Familienfrühstück aber musste am Samstag besorgt und irgendwie möglichst frischeschonend gelagert und dann aufgebacken werden. In meiner norddeutschen Heimat war werktags um 18 Uhr Schluss mit Einkaufslustig und am Samstag, da wo der Papi laut damaliger Gewerkschaftsparole „mir“ gehört, schon um 13 Uhr. Dass nahezu jeder Laden eine Hintertür hatte, an der nach nachbarschaftlicher Gesichtskontrolle auch außerhalb dieser rigiden Zeitbeschränkungen das eine oder andere Gut zu erhalten war, war offenes Geheimnis. Auf dem Land in den damals tatsächlich noch existierenden Dorfläden sowieso.
Ja, und wer erinnert sich nicht an die Verrenkungen der gesetzgebenden Obrigkeit, das Einkaufsverhalten der immer wieder als mündig beschworenen Staatsbürger zu regulieren. Der „lange Samstag“ oder die Adventsverkaufsöffnungen, dann der lange „Dienstleistungs“-Donnerstag. Als sich dann Anfang des neuen Jahrtausends die Erkenntnis durchsetzte, dass sich das Gesellschaftsbild der tagsüber einkaufenden Hausfrau und des sonntäglichen Familiengottesdienstbesuchs nun doch deutlich gewandelt hatte, durfte fürderhin werktags bis in die Abendstunden dem Konsumrausch gefrönt und am Sonntag zumindest stundenweise frisches Backwerk erstanden werden. Der Bundesgerichtshof brachte nun die nächste Verrenkung zustande, indem er Bäckereien mit Bestuhlung und Bewirtung den ganztägigen Sonntagsverkauf nach dem Gaststättengesetz statt dem Ladenschlussgesetz gestattete. Darf also jetzt mein tegut Supermarkt, in dem sich ein Café-Betrieb angesiedelt hat, nun auch „zubereitete Speisen, die zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt sind“, verkaufen und was zählt dazu? Die verpackte Schokolade, die bei mir zumindest keine lange Überlebenschance hat? Und was ist mit der Flasche Wein, die zum sonntäglichen Mahl gereicht wird? Ist es nicht langsam absurd, dass Menschen, die es nicht geschafft haben, zu den verordneten Zeiten einzukaufen, nun zum Bahnhof, zur Tanke oder zu Flughafen hetzen, um Dinge des täglichen Bedarfs mit der dort herrschenden Ausnahmegenehmigung zu erstehen? Mein oben als damals restriktiv beschriebenes Herkunftsland Schleswig-Holstein hat mit seiner Bäderverordnung gezeigt, dass die heile Feiertagswelt nicht dadurch zusammenbricht, dass dort während der achtmonatigen Urlaubssaison Geschäften die ganztägige Sonntagsöffnung erlaubt ist.
Mal ganz abgesehen davon, dass sich der Online-Handel durch kein Ladenschlussgesetz regulieren lässt. Da wird fleißig auch sonntags bestellt und in den jeweiligen Versandzentralen verpackt und versendet. Also entweder nimmt man es mit der Sonntagsruhe wirklich ernst: Dann sollten aber alle Tätigkeiten, die nicht der Notfallversorgung dienen, eingestellt werden. Keine geöffneten Tankstellen, kein Kino- oder Gaststättenbesuch, kein Bus- oder Bahnverkehr. Wobei die Kirchen wahrscheinlich hinsichtlich der Gottesdienstöffnungszeiten sicherlich eine Ausnahmeregelung für sich beanspruchen. In der Tat eine absurde Vorstellung. Oder aber man lässt die Sonntagsöffnung ganz allgemein zu und regelt dann aber entsprechend die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Aber diese ganzen Verrenkungen mit den Ausnahmeregelungen machen es doch wirklich nicht besser. Berechtigt der Stehtisch mit der Tasse Kaffee in einer Ecke der Bäckerei zum ganztägigen Sonntagsverkauf oder nur eine Mindestanzahl bestuhlter Tische? Und wie sieht es mit dem Fleischer aus, der an einem Tisch warmen Fleischkäse zu Verzehr anbietet? Oder dem oben erwähnten tegut? Mit diesen Fragen wird sich die deutsche Gerichtsbarkeit die nächsten Jahre noch trefflich beschäftigen können.