Donnerstag, 23. August 2018

Vorsicht, die Rentner kommen (August 2018)

War ja schon ein kluger Schachzug unseres grünen Verkehrsministers, den Schülern einschließlich der Berufsschüler ein hessenweit gültiges Jahresticket für den öffentlichen Nahverkehr für grad mal 1 Euro pro Tag zu spendieren. Bringt schon eine gewaltige Erleichterung für die Haushaltskassen der Familien, die sich kein SUV-Schultaxi leisten können (oder wollen). Dieser auch propagandistisch gut durchdachte Coup des grünen Hessenleaders, der ja hinsichtlich Flughafenausbau und Nachtflugverstößen der Billigairlines immer wieder Zielscheibe seiner politischen Gegner war, brachte eben jene nun etwas in Bedrängnis. Da war was Soziales drin, Preissenkung und ne gute Außenwirkung. Und anziehen konnte man sich den Schuh auch nicht, wie es dann etwas später der Frankfurter Oberbürgermeister mit den Kitagebühren machte: vom Land bezahlt und vom Feldmann als eigener Erfolg vermarktet.

Für die Linke (also die Partei) war die Sache dann schnell ganz einfach. 365 Euro im Jahr sind immer noch zu viel, also her mit dem Nulltarif, und den dann auch gleich noch für alle. Eine echt charmante Forderung, die allerdings wie alles bei der Linken unter Finanzierungsvorbehalt gestellt werden musste. Den schwarz-grünen Regenten ließ das allerdings keine Ruhe. Sie wollten besser sein und zeigen, wie man das macht mit dem Nulltarif. Einfach keine Lohn- und Gehaltserhöhung für die öffentlich Bediensteten und vom Ersparten kriegen sie dann hessenweite Freifahrt, ob sie es gebrauchen können oder nicht. Damit war zwar den Nulltariflern etwas der Wind aus den Segeln genommen, nicht aber jenen, die sich nun benachteiligt fühlten. So beschwerte sich denn eine Mitarbeiterin der Uniklinik Frankfurt, die nach Haustarif entlohnt wird und deshalb nicht den Freifahrtschein bekommt, gegenüber der Frankfurter Rundschau, dass sie nun weiter mit dem umweltschädigenden Auto fahren müsste, weil ihre RMV-Monatskarte von Hanau nach Frankfurt sie monatlich 90 Euro kosten würde. Hallo, dachte sich da der unbedarfte Schreiber dieser Zeilen, der sich aber immerhin an die Grundrechenarten erinnern konnte: wie schafft die gute Frau es für weniger als 90 Euro im Monat mit dem Auto von Hanau zur Uniklinik in Frankfurt zu kommen, wo sie dann ja auch noch, eigenen Angaben zufolge, etliche Euro fürs Parken hinlegen muss. Laut Google Maps sind arbeitstäglich 68 Kilometer zu fahren. Taschenrechner raus: für 20 Arbeitstage macht das 1360 Kilometer, das wären bei (unrealistischen) 7 Litern pro 100 Kilometern 95 Liter Sprit zu je 1,40 Euro (was derzeit auch tiefgestapelt ist), was zu monatlichen Spritkosten – alles andere gar nicht gerechnet – von 133 Euro führt. Die gute Frau bezahlt also Monat für Monat mindestens 43 Euro mehr als mit den Öffentlichen. Etwa aus Trotz weil sie es nicht ganz umsonst kriegt? Und dem Rundschau-Schreiber fällt das vor lauter Solidarität mit ver.di gar nicht auf.

Den Frankfurter OB Peter Feldmann wurmte dieses Hessengeschenk natürlich, da musste er was draufsetzen (mal abgesehen davon, dass jetzt für die Frankfurter Stadtbeschäftigten ähnliches in der Planung ist). Ein spezielles Rentnerticket für Frankfurt war die Lösung: statt 65 Euro nur noch 55. Was nur keiner so richtig mitgekriegt hat: dafür darfst du erst ab 9 Uhr fahren, abends und am Wochenende keinen weiteren Fahrgast mitnehmen und nicht, wie beim „normalen“ Rentnerticket am Wochenende durchs gesamte RMV-Gebiet fahren (von der Benutzung der 1. Klasse mal ganz abgesehen). Eine Leistungskürzung, die weit über die „ersparten“ 10 Euro hinausgeht.

Und da will sich nun der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al Wazir natürlich nicht lumpen lassen: her mit dem Rentner-Hessenticket ist jetzt sein Credo. Natürlich auch erst ab 9 Uhr. Und was machen die Minijob-Rentner, die Zeitungsausträger, die Nachtwächter und alle die, die schon vor neun Uhr ihre schmale Rente aufbessern müssen und das Ticket am nötigsten haben? „Ja, willst du denn wirklich, dass die ganzen Rentner morgens mit den Schülern die Bahnen vollstopfen?!“, so sein äußerst durchdachtes Statement zu dieser Frage. Tarek, bitte nochmal nachdenken.

(Anmerkung nach Veröffentlichung: da hat er wirklich nochmal nachgedacht und ein teureres Premiumticket auf den Markt geworfen - 625 statt 365 Euro -, das rund um die Uhr gilt, die Benutzung der 1. Klasse, so vorhanden, erlaubt, ebenso die Wochenendmitnahme von Kind und Kegel)