Dienstag, 17. Dezember 2019

Zurück in die Zukunft (Dezember 2019)

Wer hätte das gedacht: die Renaissance der Alchemie, jener obskuren mittelalterlichen „Wissenschaft“, die unter anderem zum Ziel hatte, aus Scheiße Gold zu machen, sie feiert fröhliche Urständ in den HighTech-Gefilden an der us-amerikanischen Westküste. In Anlehnung an Loriots „Wir bauen uns ein Atomkraftwerk“*) wird dort am Konzept des Schnellen Brüters für jedermann gebastelt. Dieses neue Wunderwerk der Technik erledigt all unsere Energiesorgen bis in alle Ewigkeit. Statt CO² produzierender Kohlekraftwerke, statt ineffektiver, die Landschaft verschandelnder regenerativer Energieerzeugungsspargel versprechen uns die Heilsbringer aus dem fernen Seattle das Atomkraftwerk für nebenan. Wobei Seattle sehr ungenau ist, denn tatsächlich wird die Idee in Bellevue ausgebrütet, einem Ort nahe Seattle in Sichtweite von Bill dem Gates (der auch ein paar Taler zur Entwicklung beisteuert) oder Amazon-Chef Bezos. Schöne Aussicht im Wortsinne des Ortsnamens. Aber es ist ja nicht nur das Versprechen, endlich die absolut sichere Lösung der Kernspaltung und das auch noch quasi in jedem Garten gefunden zu haben. Nein, der große Clou ist die Lösung des Problems der Entsorgung von Atommüll, weil diese netten kleine Heim-AKWs diesen Jahrtausendmüll angeblich restlos verbrennen und in unendliche Energie umwandeln sollen. Das ist doch jetzt wirklich mal ne frohe Botschaft, mit der die Verwirklichung des Traums, Scheiße in Gold zu verwandeln, verkündet wird.

Für den Weg zurück in die Zukunft haben sich jetzt ja auch unsere britischen Freunde entschieden. Befreit von den Fesseln eurobürokratischer Vorschriften und Regularien, wird die frühere nordenglische Industrielandschaft zu neuer Blüte gelangen. Die Fischer der englischen Küstenorte werden nun endlich wieder Unmengen von Fischen aus den eigentlich leergefischten Fanggründen der Nordsee angeln, was ihnen die letzten vierzig Jahre von den Brüsseler Sesselpubsern verboten worden war. Das stolze Albion, das Land von König Arthur und Prinz Eisenherz wird neu erstehen aus den Ruinen, die die Herrschaft der Europäischen Union hinterlassen hat. Und das alles zur Freude des Herrschers auf der anderen Seite des Atlantiks, den nicht nur die Haarfarbe mit dem englischen Wahlsieger verbindet. Verbinden tut die beiden ja auch ein eigenartiges Wahlsystem, dass die Amerikaner trotz ihrer Loslösung vom Empire vor nahezu einem Vierteljahrtausend weitergeführt haben. Dieses fälschlicherweise als „Mehrheits“wahlsystem bezeichnete Verfahren sorgte in beiden Ländern für eine Verfälschung des Mehrheitswillens. Schon Al Gore hatte bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 mehr Stimmen als George W. Bush und verlor trotzdem. Sogar die nicht sehr beliebte Hillary Clinton gewann stimmenmäßig gegen den Trumptower, hat aber nichts genützt. Keine schönen Aussichten für das nächste (Wahl)Jahr.

Schöne Aussichten beschert uns allerdings die Deutsche Bahn: per Videowandwerbung in der S-Bahnstation habe ich nun morgens noch Zeit für Yoga, weil mich der DB Streckenagent über die Verspätungen der Bahn informiert. Soviel Selbstironie hätte ich die Bahnern gar nicht zugetraut.

Nicht Selbst- aber Ironie ist ja die schon einmal von mir bemängelte Tatsache, dass die Hessischen Verkehrsverbünde dem Land Hessen ein Jahresticket für sage und schreibe 340 Euro pro Landesbedienstetem überlassen (51 Mio € für 150.000 Beschäftigte). Irgendwie sollte mal eine Sammlung unter mindestens 150.000 Nutzern des ÖPNV organisiert werden, wo jede/r 340 Euro einzahlt und dafür dann auch ein Jahresticket erhält. Allemal günstiger als dies immer noch nicht verfügbare 365-Euro-Ticket für alle.

Wär doch mal was für Campact

Montag, 25. November 2019

Immer wieder Sonntags (November 2019)

Ja, da kommt die Erinnerung. Zumindest die Älteren unter der geschätzten Leserschaft mögen sich noch daran erinnern, dass bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrtausends am Sonntag zwar der alkoholgetränkte Frühschoppen vor oder nach dem Kirchgang möglich war, frisches Backwerk fürs sonntägliche Familienfrühstück aber musste am Samstag besorgt und irgendwie möglichst frischeschonend gelagert und dann aufgebacken werden. In meiner norddeutschen Heimat war werktags um 18 Uhr Schluss mit Einkaufslustig und am Samstag, da wo der Papi laut damaliger Gewerkschaftsparole „mir“ gehört, schon um 13 Uhr. Dass nahezu jeder Laden eine Hintertür hatte, an der nach nachbarschaftlicher Gesichtskontrolle auch außerhalb dieser rigiden Zeitbeschränkungen das eine oder andere Gut zu erhalten war, war offenes Geheimnis. Auf dem Land in den damals tatsächlich noch existierenden Dorfläden sowieso. 

Ja, und wer erinnert sich nicht an die Verrenkungen der gesetzgebenden Obrigkeit, das Einkaufsverhalten der immer wieder als mündig beschworenen Staatsbürger zu regulieren. Der „lange Samstag“ oder die Adventsverkaufsöffnungen, dann der lange „Dienstleistungs“-Donnerstag. Als sich dann Anfang des neuen Jahrtausends die Erkenntnis durchsetzte, dass sich das Gesellschaftsbild der tagsüber einkaufenden Hausfrau und des sonntäglichen Familiengottesdienstbesuchs nun doch deutlich gewandelt hatte, durfte fürderhin werktags bis in die Abendstunden dem Konsumrausch gefrönt und am Sonntag zumindest stundenweise frisches Backwerk erstanden werden. Der Bundesgerichtshof brachte nun die nächste Verrenkung zustande, indem er Bäckereien mit Bestuhlung und Bewirtung den ganztägigen Sonntagsverkauf nach dem Gaststättengesetz statt dem Ladenschlussgesetz gestattete. Darf also jetzt mein tegut Supermarkt, in dem sich ein Café-Betrieb angesiedelt hat, nun auch „zubereitete Speisen, die zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt sind“, verkaufen und was zählt dazu? Die verpackte Schokolade, die bei mir zumindest keine lange Überlebenschance hat? Und was ist mit der Flasche Wein, die zum sonntäglichen Mahl gereicht wird? Ist es nicht langsam absurd, dass Menschen, die es nicht geschafft haben, zu den verordneten Zeiten einzukaufen, nun zum Bahnhof, zur Tanke oder zu Flughafen hetzen, um Dinge des täglichen Bedarfs mit der dort herrschenden Ausnahmegenehmigung zu erstehen? Mein oben als damals restriktiv beschriebenes Herkunftsland Schleswig-Holstein hat mit seiner Bäderverordnung gezeigt, dass die heile Feiertagswelt nicht dadurch zusammenbricht, dass dort während der achtmonatigen Urlaubssaison Geschäften die ganztägige Sonntagsöffnung erlaubt ist. 

Mal ganz abgesehen davon, dass sich der Online-Handel durch kein Ladenschlussgesetz regulieren lässt. Da wird fleißig auch sonntags bestellt und in den jeweiligen Versandzentralen verpackt und versendet. Also entweder nimmt man es mit der Sonntagsruhe wirklich ernst: Dann sollten aber alle Tätigkeiten, die nicht der Notfallversorgung dienen, eingestellt werden. Keine geöffneten Tankstellen, kein Kino- oder Gaststättenbesuch, kein Bus- oder Bahnverkehr. Wobei die Kirchen wahrscheinlich hinsichtlich der Gottesdienstöffnungszeiten sicherlich eine Ausnahmeregelung für sich beanspruchen. In der Tat eine absurde Vorstellung. Oder aber man lässt die Sonntagsöffnung ganz allgemein zu und regelt dann aber entsprechend die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Aber diese ganzen Verrenkungen mit den Ausnahmeregelungen machen es doch wirklich nicht besser. Berechtigt der Stehtisch mit der Tasse Kaffee in einer Ecke der Bäckerei zum ganztägigen Sonntagsverkauf oder nur eine Mindestanzahl bestuhlter Tische? Und wie sieht es mit dem Fleischer aus, der an einem Tisch warmen Fleischkäse zu Verzehr anbietet? Oder dem oben erwähnten tegut? Mit diesen Fragen wird sich die deutsche Gerichtsbarkeit die nächsten Jahre noch trefflich beschäftigen können.

Dienstag, 22. Oktober 2019

Scheiß Sturm (Oktober 2019)

Stürme fegen über das Land. Nein über Europa und den ganzen Globus. Aber es sind nicht diese jahreszeitlich und wettermäßig bedingten, in ihrer Stärke und Unberechenbarkeit aber wohl eher dem Klimawandel geschuldeten Stürme mit den netten Namen wie Mortimer oder Dorian oder Lorenzo. Nein, gemeint sind natürlich, wie der germanisierten Überschrift unschwer zu entnehmen, die shitstorms, die durch das weltweite Netz, das World Wide Web also, wabern. Aber im Gegensatz zu einem wirklichen Sturm, verspüren die ganzen Teilnehmer an diesem ominösen Internet eigentlich gar nichts von einem Sturm. Ein meteorologischer Sturm richtet Schäden an ohne Ansehen von Person, Haus und Gut. Ein shitstorm richtet sich eigentlich immer gegen eine Person, die irgendwas falsches gesagt, geschrieben, getwittert, gefacebooked hat. Also falsch in den Augen der Shitstormer. Und nun frage ich mich, wie das eigentlich genau funktioniert.

Also mal angenommen, ich schreibe hier was ganz Schlimmes, also zum Beispiel, dass wir deutsche Soldaten ins syrische Kurdengebiet an die Grenze zur Türkei schicken sollten, um den Terror der türkischen Invasoren und ihrer Helfer zu verhindern. Gut, ich weiß, die deutsche Soldateska ist nicht gerade in einem Zustand, um Herrn Erdogan das Fürchten zu lehren. Immerhin haben wir ihm ja unser ganzes Kriegsgerät verkauft. Aber sei‘s drum, alle, die das für unheimlich kriegstreiberisch ansehen, wollen nun einen Shitstorm gegen mich lostreten. Aber wie? Also was ins Netz stellen. Aber wo? Fatzebook hab ich nicht, Twitter ist mir ziemlich fremd. Und wenn ich dann so rumgoogel oder firefoxe erwischt mich eigentlich auch keiner. Bleibt nur der Leserbrief, sozusagen als analoges Shitlüftchen, der dann auch noch vier Wochen später abgedruckt werden muss, wo sich dann sowieso keiner mehr dran erinnert.*) Aber andererseits ist das auch ganz schön blöd. Da lässt man mal die Sau raus, schreibt was Provokantes, und keinen scheint es zu jucken, weil das Schreiben von Leserbriefen zu anstrengend ist, immerhin muss man da ganze Sätze ausformulieren und vielleicht sogar noch argumentieren. Insofern könnte einen ein schöner Shitstorm auch richtig wichtig machen. Vorausgesetzt, die Leute kriegen es auch mit. 

So wie bei diesem Lachkaspar Dieter Nuhr-im-Ersten. Bei dem ging nach seinen doch etwas doofen Späßchen über unsere Friday-Greta (nun bitte wegen der etwas respektlosen Wortwahl nicht gleich einen Shitstorm veranstalten!) ein Shitstorm los. Wüsste ich nicht, hätte ich es nicht in der Zeitung gelesen. Also schaute ich mir dann seine nächste Sendung an. Und siehe da, mit nahezu stolzgeschwellter Brust verkündete er, wie da ein wahnsinniger Shitstorm über ihn hereingebrochen ist, bloß weil er ein Witzchen über Greta gemacht hätte. Ob’s tatsächlich einen Shitstorm gegeben hat oder nur seine PR-Abteilung etwas aufgeblasen hat, auf jeden Fall triefte ihm sein Stolz ob der durch den (vermeintlichen) Shitstorm hervorgerufenen Wichtigkeit aus allen Poren.

Nun will ich das natürlich nicht verharmlosen oder ins Lächerliche ziehen, wenn in so einem Shitstorm Drohungen, rassistische, menschenverachtende Angriffe und ähnliches laufen. Aber da frage ich mich dann schon, ob diese Anonymität im Internet tatsächlich ein Ausdruck von Freiheit und freier Meinungsäußerung ist. Aber wenn ich jetzt dafür plädiere, dass man Facebook- oder Twitteraccounts nur mit personalisierter Anmeldung wie beim Handy einrichten können sollte, geht bestimmt auch gleich ein Shitstorm los. Also Leute, greift zur Feder und schreibt ganz stürmisch.

Dienstag, 23. Juli 2019

Die zehn Verbote (Juli 2019)

Wenn so ein aufrechter Freidemokrat und manchmal auch ein angstgetriebener christlich sozialer Demokrat den ihnen umfragemäßig davongelaufenen beziehungsweise dicht auf den Fersen hockenden Grünen mal wieder so richtig eins auswischen will, dann bricht das Wörtchen „Verbotspartei“ aus seinem (und manchmal auch ihrem) Munde. Denn mit nichts, so scheinen diese etwas schlichten Gemüter zu denke, kann man dem Wahlvolk einen größeren Horrorschauer den Rücken hinabjagen lassen als mit dieser Wortkombination. Unterstützt werden sie dabei von mutig schreibenden Journalisten wie dem immer wieder zu diesem Behufe in Talkshows á la Markus Lanz eingeladenen Wolfram Weimer oder – fast noch viel besser – jenem neuen konservativen Aushängeschild des Spiegel, Alexander Neubacher, der mit seiner „Gegendarstellung“ genannten Kolumne das linksliberale Spiegelimage so ein bisschen aufmischen soll. Doch was bei seinem Vorgänger Jan Fleischhauer, der mit seinem „Schwarzen Kanal“ über die letzten Jahre diese Rolle trefflich erfüllte, manchesmal ein schön zu lesender Seitenhieb (selten nur Frontalangriff) auf so manche linksgrünantiautoritärfeministischengendergerechten Irrungen und Wirrungen der Vergangenheit und auch der Gegenwart war (immerhin fühlte er sich in jungen Jahren selbst als deren Teil), gerät bei seinem Nachfolger zu einem weinerlichen Schreckenszenario, das der Spiegel nun wirklich nicht verdient hat. 

Als Beleg der bei grüner Machtübernahme auf uns herabbrechende Verbotsbevormundung führt er beispielhaft das Schottergartenverbot an, mit dem die Grünen in der NRW-Stadt Velbert dem freien Bürger verbieten wollen, die üblicherweise mit Pflanzen bewachsenen Vorgärten durch Schotterlandschaften zu ersetzen. Da sollte der gute Mann aber mal ganz schnell nach Frankfurt kommen, wo schon seit Jahren unter dem Verbotsdiktat einer Vorgartensatzung untersagt wird, Grünflächen vor den Wohnhäusern solcherart zu verschandeln. Die durch eine solche naturorientierte Verbotsdiktatur geknechtete Frankfurter Bevölkerung scheint das aber mehrheitlich nicht so beeindruckt zu haben, machten sie die Grünen doch bei der Europawahl zur stärksten Partei. 

Aber viel mehr als Schotterverbot und historische Veggiedayforderung, die ja im übrigen mittlerweile Einzug in die Verkaufsvitrinen selbst der Billigdiscounter gehalten hat, fällt den Verbotsparteianklägern aber eigentlich nicht ein. Doch, da gab es doch noch die Forderung eines Grünen, den Menschen dieses Landes aus klimarettender Sicht nur noch drei Flüge im Jahr zuzubilligen. Der Versuch, aus dieser Beschneidung individueller Freiheit (nur fliegen ist schöner) einen Skandal zu machen, verpuffte allerdings sehr schnell, da ja schließlich die überwiegende Mehrheit so gut wie nie mehr als drei Flüge pro Jahr macht. Wobei an der Idee ja eigentlich was dran ist: ähnlich wie beim CO² Emissionshandel könnte man doch die Gesamtzahl an Flügen, die ja nun bekanntermaßen ein riesiger Klimakiller sind, begrenzen. Jeder Bürger hat ein Freikontingent von zum Beispiel drei Flügen und kann dann nicht benutzte Flugrechte an die verkaufen, die mehr fliegen wollen oder meinen zu müssen. Wie ein solcher Verkauf organisiert werden kann, bedarf noch genauerer Überlegungen. Eins allerdings steht fest, die Ticketmafia á la Viagogo ist vom Handel ausgeschlossen. 

Auf die im Titel angesprochenen zehn Verbote bin ich ja jetzt gar nicht gekommen. Wer also verbotsmäßig fündig werden will, der lese außer der Bibel noch das Strafgesetzbuch, da wimmelt es nur so von Verboten. Und daran sind die Grünen nun wirklich nicht schuld.

Anmerkung: in einer vergangenen Meckerei habe ich unseren grünen Verkehrsminister kritisiert, dass er das Seniorenticket trotz seniler Bettflucht nur für Spätaufsteher machen wollte. Das hat er korrigiert: ab Januar gibt es neben dem normalen Seniorenticket, das ab 9 Uhr gilt, auch eine etwas teurere Variante für die Frühaufsteher. Na also, geht doch.

Montag, 20. Mai 2019

Armes Maintal (Mai 2019)

Nein, nicht weil der Schreiber dieser Zeilen, wie die eine oder andere Leserin (er natürlich auch) vielleicht vermuten mag, seit Anfang dieses Jahres seinen Lebensmittelpunkt in diese beschauliche Vielvölker Kunstgemeinde vor den Toren Frankfurts verlegt hat. Dazu war die Zeit dann doch zu kurz, um das Städtchen meckermäßig aufzumischen. Das aber schafft gerade eine kleines oft rundes, manchmal quadratisches Stückchen saugfähiger Pappe, das gemeinhin in Restaurants, vor allem aber in Kneipen dazu dient, an Trinkgläsern herunterlaufende Flüssigkeiten aufzusaugen. Das passiert natürlich vor allem bei einem frisch gezapften Pils. Und da haben wir den Salat. Denn nun wird aus einem Stückchen Pappe, einem Getränkeuntersetzer ein Bierdeckel. Eigentlich ja noch nichts Schlimmes, bietet er doch auch im genässten Zustand Fläche für so manche Botschaften. Mal lustig, mal bierernst (sic!), mal für Notizen und mehr oder minder lustige Fragestellungen in Ina’s Nacht. 

Den damit verbundenen Aufmerksamkeitswert wollte sich nun auch die Integrationsbeauftragte der Stadt Maintal zunutze machen. Angeregt durch eine Aktion des Vereins Orient-Netzwerk in Freiburg startete sie die Aktion „Islam auf Hessisch“, ließ Bierfilze mit drängenden Fragen zum Islam in hessischer Mundart bedrucken und in den örtlichen Wirtshäusern verteilen. Da wurde dann der gemeine Maintaler Biertrinker mit der Frage konfrontiert, ob denn Fußballer im Ramadan gar nichts essen dürfen oder ob es Weihnachten auch im Islam gibt. Diese und andere tiefsinnige Fragen sollten ihm den Islam näherbringen, der ihm ja doch immer noch etwas fremd ist. Dass er dann die Antwort auf die Fragen nicht in hessischer Mundart sondern als QR-Code auf der Rückseite des Deckels findet, erscheint angesichts der Verfassung, in der unser Bierfreund den Deckel vielleicht umdreht, eine etwas zu optimistische Herausforderung. 

Aber es war nicht dieses etwas verunglückte digitale Integrationsbemühen, das einen Sturm der Entrüstung über die zwischen Frankfurt und Hanau gelegenen Gemeinde hinwegbrausen ließ. Es war der aufmerksame Vorsitzende des Ausländerbeirats, der zwischen den an maurische Ornamente angelehnten Aufdrucken einen Bembel mit dazu gehörigem Rautenglas entdeckte. Das war nun des Guten zu viel! „Bier“deckel ging vielleicht noch, da steht ja auch schon mal ein Glas Wasser drauf. Aber dann noch die Anspielung auf Äppelwoi. Das setzte der Verherrlichung des Alkohols denn nun doch die Krone auf. Denn wie wir uns denken können, steht der muslimische Teil der örtlichen Ausländervertretung dem Alkohol doch eher ablehnend gegenüber. Aber mal ehrlich: welcher Muslim sollte im Wirtshaus bei einem Glas Apfelwein oder so über den Ramadan aufgeklärt werden. Die Zielgruppe sollte ja wohl eher der bierdeutsche Besucher sein, der immer schon mal wissen wollte, „woher komme denn all die Muslime, die wo hier in Hessen leewe“. Zugegeben, der Unterhaltungswert und vor allem der Aufklärungswert ist angesichts bier- oder apfelweinvernebelter Gehirne doch eher begrenzt. Daraus allerdings eine islamfeindliche Verbindung von Alkohol und Religion als gewollten Tabubruch zu konstruieren, wirkt dann doch etwas übertrieben – sozusagen der Sturm im Bierglas. Und dass in der Frage „De Mohammed – was war dann des eichendlisch für aaner?“ eine Verunglimpfung des islamischen Religionsstifters gesehen werden kann, weil auf (nicht in!) seinem Namen ein Bierglas abgestellt wird, zeigt, wie notwendig eine – manchmal auch spaßige – Integrationsarbeit noch ist.

Wer sagt da noch, in Maintal ist nix los?

Sonntag, 28. April 2019

Wohl bekomms (April 2019)

Wer hätte schon etwas dagegen, dass es Tieren wohlergeht. Na ja, nicht allen Tieren. Also mit Ratten zum Beispiel scheint das ja so eine Sache zu sein: Einerseits füttern wir sie ständig, indem ungebremst Speiseabfälle über die Klospülung in die Kanalisation verbracht werden, wo sie den netten Nagern ein Festmahl bereiten. Andererseits ruft kaum ein Säugetier mehr Ekel hervor als eben die gemeine Kloakenratte aus dem städtischen Untergrund. Auch Meister Lupus, der ständig Großmütter, Rotkäppchen und kleine Zicklein verspeist, steht auf der Beliebtheitsskala – zumindest in einigen Landstrichen – nicht gerade weit oben. Ebenso die gemeine Stadttaube, oftmals als Ratte der Lüfte diffamiert, weckt allerhöchstens bei einigen alleinstehenden älteren, zumeist weiblichen Menschen den Versorgungstrieb und führt zu – oft untersagten – Fütterungsorgien. Von Schlangen, Spinnen und Wespen will ich gar nicht weiter reden.

Nein, aber sonst bricht uns beim Leiden der Kreatur schon das Herz, wenn wir sehen, wie Rinder in irgendwelchen entfernten Häfen an einem Bein hängend vom Schiff auf einen LKW verladen werden. Natürlich klatschen wir da Beifall, wenn unsere Umweltministerin solcherart Quälerei von Tiertransporten untersagt. Und die ganzen niedlichen Schäflein, Häslein und Hündchen (natürlich außer dem beißwütigen Kampfterrier), denen soll es halt gut gehen. Dafür treten dann ja bei der anstehenden Europawahl allein fünf Gruppierungen an, die den Begriff Tierschutz im Namen haben*). Die Grauen Panther zähle ich jetzt mal trotz des tierischen Namens nicht dazu. So nimmt es denn auch nicht Wunder, dass die Vorreiter tierischen Wohlergehens, die Feinkostketten Lidl, ALDI, Netto, Penny und wie sie alle so heißen mögen, sich nun bei Tierwohlinitiativen nahezu überschlagen. Wenn am Wochenende die bunten Prospekte dieser Ketten im Briefkasten landen, kommen einem beim Studium bei so viel bunt gedruckten Guttieretum fast die Tränen. Da wird zertifiziert und ausgezeichnet, was das Zeug hält – besser wohl: was die Fantasie einer Marketingagentur so hergibt. Und nun, während die Vorreiterin des nachdenklichen Tierwohls, Bundestierwohlministerin Klöckner, noch über die Gestaltung bundeseinheitlicher Fleischlabels sinniert, ergreift der progressive LEH (Lebensmitteleinzelhandel) die Initiative: der Haltungskompass wird geboren. Von Stufe 1 bis 4 werden jetzt die Fleischerzeugnisse nach Haltungsnoten bewertet, also Tier- nicht Körperhaltung. Über die staatlich sanktionierte Massentierquälerei der Stufen eins (Stallhaltung mit 0,75 Quadratmeter Fläche für Mastschweine) und zwei (Stallhaltung plus) ist ja hinlänglich kritisch berichtet worden. Da auch die Stufe drei ja lediglich mit etwas mehr Frischluftzufuhr zu punkten versucht, scheint letztlich ja nur die beworbene Stufe vier Sinn zu machen. Die wird mal als Premium, mal als Bio bezeichnet. 

Aber nun kommt’s: Groß sich schulterklopfend beworben tauchen die Kennzeichnungen in dieser vierfachen Vielfalt in den Läden der beteiligten Ketten nicht mehr auf. Schweinefleisch gibt es so gut wie ausschließlich nur in der Tierqualstufe 1 (ich hab zumindest keine andere Note entdeckt). Stufe zwei findet man ab und an mal bei den Hähnchenprodukten. Bio, mit dem sich diese Läden ja nun marketingtechnisch zunehmend schmücken, gibt’s nur durch den Fleischwolf gedreht. Das heißt, Produkte der Kompassstufen 3 und vier werden tatsächlich gar nicht angeboten. Das kann man dann wohl auch getrost Verarsche nennen. Vorschlag an die Tierwohl-Discounter: kassiert einfach an der Kasse für je 100 Gramm Fleisch je nach Haltungsstufe 10 (Stufe 1) oder 5 (Stufe 2) Eurocent zusätzlich fürs Tierwohl und gebt das in einen Fond für ökologisch produzierte heimische Lebensmittel. Das kann man den Kunden sicherlich mit der ganzen Überzeugungskraft eurer bunten Wochenprospekte klarmachen.

Aber wer hört schon auf mich.

*)

PARTEI MENSCH UMWELT TIERSCHUTZ (Tierschutzpartei)

Aktion Partei für Tierschutz – DAS ORIGINAL (TIERSCHUTZ hier!)

Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative (Die Partei)

PARTEI FÜR DIE TIERE DEUTSCHLAND (PARTEI FÜR DIE TIERE)

Allianz für Menschenrechte, Tier- und Naturschutz (Tierschutzallianz)

Dienstag, 19. März 2019

Alte weis(s)e Männer (März 2019)

Ein Gespenst geht um in der westlichen Welt: das Gespenst der alten weißen Männer (AWM). Nicht erst seit der #MeToo-Debatte, aber verstärkt seitdem, steht dieser ominöse alte weiße Mann für das Verdorbene im Manne schlechthin. Man sieht sie förmlich vor sich, die Rest-Testosteron gesteuerten Greise, denen der Sabber beim Anblick (nicht nur) attraktiver Frauen aus den Mundwinkeln läuft. Und da sie allesamt an den Schalthebeln der Macht sitzen, nutzen sie dieses weidlich zur Befriedigung niedrigster männlicher Bedürfnisse aus. Ja sicher, es gibt sie, diese Weinsteins, Trumps, Strauss-Kahns und ihre Kumpane. Aber für die Mehrheit dieser Altersklasse gilt wohl eher die Selbsterkenntnis der Tutti-frutti Ikone aus den Anfängen des westdeutschen Privatfernsehens, Hugo Egon Balder, der zugab, auch im Alter weiterhin gerne jungen Frauen hinterherzuschauen, aber eigentlich gar nicht mehr genau wisse, warum. Und bei Licht betrachtet – das im Übrigen gar nicht so hell sein muss -, sind es ja nicht (nur) die Alten und/oder die Weißen, die ihre Machtstellung gegenüber ihren Untergebenen sexuell, finanziell, gesellschaftlich ausnutzen. Das gemeinsame Merkmal ist „Mann“. Aber das ist ja nun wirklich keine neue Erkenntnis. 

Also was soll eigentlich dieses Alte-weiße-Männer-Bashing bewirken? Altersdiskriminierung? Rassismusvorwurf? Immerhin war in der von humanistisch Gebildeten verklärten hellenistischen Antike der alte Mensch – zumeist, da hat sich bis heute ja nicht viel geändert, der Mann – zugleich auch der zu achtende weise Mann. Über die ihm immer wieder nachgesagte Vorliebe zur Knabenliebe wurde großzügig hinweggelächelt. Also nochmal: was soll diese Alt-Weiß-Mann-Zuschreibung? Wie dem alten, weißen und weißhaarigen (zumindest von dem, was noch übrig geblieben ist) Schreiber zugetragen wurde, wird AWM nun auch zum Stilmittel politischer Auseinandersetzung, eher vielleicht sogar Diffamierung. Da gibt es zur Zeit öffentlich ausgetragene Differenzen zwischen dem fürs Wohnungswesen zuständigen Landesminister Tarek Al-Wazir und großen Teilen seiner Frankfurter Basis über die Sinnhaftigkeit eines Verbots, Wohnhäuser über Jahre leer stehen zu lassen. Dass sich die Oppositionsparteien daran erfreuen, gehört zum politischen Alltagsgeschäft. Dass aber eben jener Minister seine innerparteilichen Kritiker der AWM-Kategorie zugeordnet haben soll, sozusagen als Alte-Männer-Geschwätz oder Alte-Männer-Grantelei abtat, steht ihm, der sich doch so aufopferungsvoll für ein landesweites Seniorenticket (also auch ein bisschen AWM) stark macht, nicht gut zu Gesicht. Was eigentlich macht es einem mittelalten Minister so schwer, den Großstadt-Regierungen ein Instrument an die Hand zu geben, um gegen Leerstandsspekulanten vorzugehen. Wenn es denn keine gibt, wie er behauptet, wird das Instrument halt nicht angewendet. Aber eben, wenn … 

Sicher, es ist nicht Teil der Koalitionsvereinbarungen. Aber ebenso, wie man das nicht vereinbarte Verhalten des CDU-Innenministers rund um die Eintracht Frankfurt mehr oder minder hinnimmt, kann dann durchaus auch etwas Selbstbewusstsein gegenüber dem Koalitionspartner an den Tag gelegt werden. Wie schön wäre es doch gewesen, hätten die Vertreter und -innen der Antiklimawandelpartei in der Hessischen Landesregierung ihr Augenmerk mehr auf die jungen, bunten SchülerInnen gerichtet und sie offensiv gegen den Vorwurf, illegal dem Unterricht ferngeblieben zu sein, in Schutz genommen. Regelverstoß war doch mal ein Teil grüner DNA.

Dienstag, 22. Januar 2019

Unterirdisch (Januar 2019)

Nun wird gebuddelt. Na ja, „nun“ ist ein bisschen übertrieben, aber für die Planung des Bundesverkehrsministeriums, Frankfurts Innenstadt von Niederrad bis Offenbach via Hauptbahnhof zu untertunneln, sind zumindest mal ein paar Taler per Bundesverkehrswegeplan reserviert. Also, genauer sind es 3,5642 Milliarden Euro, die in Frankfurts Untergrund versenkt werden sollen, um den Fernbahnverkehr zügiger durch das bzw. unter dem Frankfurter Schienengewirr zu lotsen. Alle, die sich mal am Hauptbahnhof auch nur oberflächlich mit den Anzeigedisplays für die ein- und ausfahrenden Züge beschäftigt haben, kennen die weiß eingeblendeten Verspätungs- und Ausfallhinweise und fiebern dieser angekündigten neuen Zügigkeit ungeduldig entgegen. Wobei der Begriff „zügig“ ja angesichts deutscher Bahnwirklichkeit schon etwas Zynisches an sich hat. Nun kommen einem aber bei einem solchen Großbuddelprojekt doch einige Zweifel. Klar, dass sich einem der Vergleich mit dem Milliardengrab Stuttgart 21 aufdrängt oder der mit dem überragenden Beispiel deutscher Planungs- und Konstruktionsunkunst am Berliner Zugroßflughafen. Allein was die veranschlagte Bausumme angeht, kann man sich ja schon vorstellen, zu welchen Höhen die sich wohl tatsächlich emporschwingen wird. Und die Herausforderung, mal eben unter den Hochhäusern des Bankenviertels durchzugraben, lässt einen nur hoffen, dass Köln kein Beispiel wird. Denn so ein umfallender Maintower wäre schon ein anderes Kaliber als das Kölner Stadtarchiv. Aber ich will ja so einen Tunnel nicht grundsätzlich schlecht reden. Unseren Planern und Ingenieuren kann man ja sicherlich unterstellen, aus den vorgenannten Beispielen auch lernen zu können. 

Und vielleicht bin ich ja auch nur deshalb so skeptisch, weil angesichts meines Geburtsjahrgangs und der zu erwartenden Zeit der Umsetzung die Chance, die Inbetriebnahme noch erleben zu können, denkbar gering ist. Aber mal ehrlich, so faszinierend so ein Fernbahntunnel unter Frankfurt auf lange Sicht auch sein mag, das Dilemma stehender und bummelnder Züge in und rund um Frankfurt wird damit erstmal überhaupt nicht gelöst – weder aktuell noch in absehbarer Zukunft. Denn wahrscheinlich werden die heute in Saft und Kraft stehenden Berufspendler die Vorteile des Tunnels – wenn überhaupt - nur mit ihrem Rentnerflatrateticket erleben können. Das spricht nicht gegen ein langfristig angelegtes Zukunftsprojekt. Dadurch dürfen aber kurz- und mittelfristige Verbesserungen im Bahnverkehr nicht hintangestellt oder gar nicht angegangen werden. Auf Frankfurt bezogen sollte schon mal darüber nachgedacht werden, ob alle Züge immer über den Hauptbahnhof fahren müssen. Ein entsprechender Ausbau des Südbahnhofs ist auf jeden Fall billiger und schneller umzusetzen, als ein Monstertunnel. Dann könnten etliche Fernverkehrszüge unter Umgehung des Kopfbahnhofs tatsächlich zügiger fahren. Die Anbindung an die Innenstadt ist hervorragend. Ja, selbst einige umständlichere Umsteigeverbindungen zwischen Süd- und Hauptbahnhof könnten durch Pünktlichkeit und damit verbundener besserer Planbarkeit kompensiert werden. Auch einige S-Bahnen, wie die zwischen Wiesbaden, Flughafen und Offenbach, müssen ja nicht unbedingt durch den überlasteten Innenstadttunnel fahren. Taktfrequenzen ließen sicher erhöhen, selbst mit Umsteigen im Südbahnhof braucht man dann wahrscheinlich nicht viel länger in die Innenstadt. Zwar müssten sicherlich noch einige Strecken ausgebaut, erweitert oder modernisiert werden, ist aber sicherlich alles einfacher und billiger zu verwirklichen als eine jahrzehntelange Buddelei. 

Ist halt nur mal so eine Idee. Aber, wie schon des Öfteren geschrieben, auf mich hört ja keiner.