Montag, 24. Februar 2020

Die Stunde der Experten (Februar 2020)

Große Ereignisse, verrückte und schreckliche, rufen sie allenthalben wieder auf den Plan, vornehmlich in den wichtigtuerischen Talkshows, die insbesondere die öffentlich-rechtlichen TV-Stationen überfluten: die Experten für die besonderen Situationen. Da wirbelt die thüringische Politposse mal kurz die Republik durcheinander und die Politikerklärer stehen Schlange. Geschmückt natürlich mit dem Professorentitel für Politikwissenschaft oder manches Mal mit dem obskuren Untertitel „Politikberater“ werden Einsichten unters Volk gestreut, die diesem schon nach den ersten beiden Meldungen in Tagesschau und heute-Nachrichten klar waren. Die Erben der alten DDR-Blockparteien LDPD und Ost-CDU haben sich auf ein schmutziges Spiel mit der rechts-rassistischen AFD eigelassen, um das thüringische Volk vor der erneuten Machtübernahme durch einen verkappten Sozi aus dem Westen zu bewahren, der ja schon die Jahre zuvor mit seiner SED-Nachfolgeorganisation gemeinsam mit SPD und Grünen den schönen Freistaat zurück in der real existierenden Sozialismus schubsen wollte. Und nun rudern sie erschreckt zurück, die selbsternannten Vertreter der „Mitte“, zerlegen sich selbst, und die Politikexperten erklären dem staunenden Fußvolk, dass die Parteien der Mitte sich selbst zerlegen. Welch ein Erkenntnisgewinn.

Und auch nach den schrecklichen rassistisch motivierten und von rechten Verbaltätern mit zu verantwortenden Morden in Hanau haben wir sie wieder auch dem Bildschirm, die Terrorismusexperten, die uns alle Hintergründe, vor allem aber die naheliegenden noch einmal mit wichtigem Gesichtsausdruck erklären. Da werden sicherlich auch viele richtige Analysen geliefert, nur unterscheiden die sich häufig von denen vorangegangener Terrortaten nur durch den Austausch der jeweiligen Daten und Namen. Aber wir brauchen mehr als nur die Hinweise auf eine immer gewaltbereitere rechte Szene und auf eine die sie legitimierende Sprache einer Partei, in der Faschisten das Sagen haben. Wir müssen auch den Mut haben, jene, die diese Partei wählen, nicht als verlorene Schäfchen zu betrachten, die es zurück zu gewinnen gilt, sondern sie als ideologische Unterstützer zu brandmarken. Die Hetzer und Hasser müssen sich für ihre verbale Gewalt auf den diversen Plattformen und in den sogenannten sozialen Medien verantworten und dürfen sich nicht im Schutz der Anonymität verbergen. Wieso muss ich mich beim Kauf einer Handy-Simkarte ausweisen und legitimieren, beim Einrichten eines facebook-accounts aber nicht? Das ist keine Einschränkung der freien Meinungsäußerung, aber der Zwang, Verantwortung für eben diese Meinungsäußerung zu übernehmen. Wir müssen auch fragen, wieso vereinsmäßiges Schießen mit todbringenden Waffen als Sport verharmlost wird und die Vereinsmitglieder dann diese Waffen und die Munition auch noch mit nach Hause nehmen dürfen. Wir müssen aber auch immer jene mit in die Verantwortung nehmen, die durch Einschränkung rechtsstaatlicher Normen (Orban, Trump) oder der Menschenrechte (Erdogan) die Herabsetzung der Hemmschwelle zu gewaltbereitem Handeln legitimieren

Aber – und jetzt kommt der Glatteisteil – ist nicht auch der leichtfertige Gebrauch des Rassismusvorwurfs mit verantwortlich, den wahren Rassismus zu verharmlosen? Islamkritik, Religionskritik überhaupt, ja sogar Religionsfeindlichkeit wird ja erst da zum Rassismus, wo ich den Angehörigen dieser Glaubensrichtungen die Existenzberechtigung abspreche. Und es ist kein Rassismus, wenn ich die Überlegungen eines Imams, in Griesheim ein muslimisches Schwimmbad zu bauen, für bescheuert halte (was für ein katholisches genauso gilt).

Dienstag, 21. Januar 2020

Reizend (Januar 2020)

Nun haben sie also wieder zugeschlagen, die Wächter des guten beziehungsweise des schlechten Wortes. Aus mehreren hundert Vorschlägen, die ihnen von eifrigen Bürgerinnen und Bürgern zugesandt worden waren, wählten die Gralshüter des guten Umgangstons das Unwort des Jahres wie sie es geflissentlich seit 1991 tun. Die Jury, neben einer Professorin und drei Professoren auch der Vertreter des guten linken Gewissens der Frankfurter Rundschau (ihr wisst schon …), entschieden sich für das Wort „Klimahysterie“. Sicherlich, das ist eine Wortschöpfung, mit der den Mahnern der realen Gefahr eines Klimawandels rhetorisch eins übergebraten werden soll. Das finden wir natürlich nicht gut, vor allem weil der Wortteil „Hysterie“ ja nun einen miesen Beigeschmack hat, wurde er im 18. und großen Teilen des 19. Jahrhunderts doch vor allem Frauen als Merkmal einer psychischen Störung zugeschrieben. Heute wird es mehr im Sinne von übertriebener Aufgeregtheit verwendet, wobei der frauenfeindliche Aspekt bei Verwendern des Begriffs gerade angesichts der Frontfrauen Greta (weltweit) und Luisa (deutschlandweit) sicherlich auch eine Rolle spielt. Und das nicht nu(h)r bei der AFD. Aber ist es deshalb ein Unwort – wobei mir der Begriff selbst nicht wirklich klar ist. Es ist ein Wort. Und zwar ein Wort, dass in einer politischen Auseinandersetzung dem Meinungsgegner an den Kopf geworfen wird. Ja und? Aber der Gebrauch dieses Wortes sagt sehr deutlich etwas über die Person aus, die es benutzt. 

Viel schlimmer finde ich da jene, die scheinbar neutrale, womöglich sogar positiv besetzte Worte verwenden, um damit fragwürdigen politischen Zielen einen Heiligschein zu verpassen. Eins dieser Worte, das derzeit fröhliche Urständ feiert, ist der „Anreiz“. Als Antipode zum „Verbot“ wird es im politischen Sprachgebrauch vor allem dazu verwendet, den Menschen vorzugaukeln, sie in ihrer freien Entscheidung durch kleine (oder auch größere) Leckerlies in eine bestimmte Handlungsrichtung beeinflussen zu können. Also wird dem Autokäufer ein 5000-Euro-Anreiz gegeben, um sich damit ein E-Auto zu kaufen, das dann aber wegen seiner schweren Batterien natürlich ein übergroßer Stadtpanzer wird. Der „Erfolg“ solcherart Anreize ist, dass mehr SUVs als je zuvor gekauft werden (allerdings die wenigsten mit Batterieantrieb), aber auch jene geförderten hybriden Autos, die eigentlich nur die wenigste Zeit elektrisch fahren, die Hauptzeit aber stinknormal verbrennend unterwegs sind. Das wird dann als leuchtendes Beispiel der hysterischen Verbotsforderung, ab 2030 nur noch abgasfrei Auto zuzulassen, entgegengehalten. Da wird der Anreiz zwar nicht zum Unwort aber zum Unsinn. Womöglich haben die Anreizprotagonisten da auch die Politik der Firma Microsoft vor Augen: die gaben den Nutzern von Windows 7 und 8 die Möglichkeit - also den Anreiz -, kostenlos auf Windows 10 umzusteigen. Hat aber bei mehr als einem Viertel der Windowsbenutzer nix geholfen, die sind bei der 7er Version geblieben. Und was macht man dann? Nein, kein Verbot, geht ja auch gar nicht. Man stellt einfach den Support ein, gibt das System den Hackern frei. Und schon entsteht Panik. Daran sollten sich die Anreizpolitiker mal ein Beispiel nehmen. 

Aber ganz komme ich an meinem Lieblingsthema „Verbote“ doch nicht vorbei, ist es doch zwangsläufig mit dem „Anreiz“ verbunden. Wer – wie allen voran der Freigeist Lindner – staatliche Regulierungen, die ihm nicht passen, mit einem negativ besetzten Wort „Verbot“ diskreditieren, gibt all jenen, die sich über Verbote wie z.B. der Gewaltausübung gegen Minderheiten hinwegsetzen, den ideologischen Ritterschlag.

Dienstag, 17. Dezember 2019

Zurück in die Zukunft (Dezember 2019)

Wer hätte das gedacht: die Renaissance der Alchemie, jener obskuren mittelalterlichen „Wissenschaft“, die unter anderem zum Ziel hatte, aus Scheiße Gold zu machen, sie feiert fröhliche Urständ in den HighTech-Gefilden an der us-amerikanischen Westküste. In Anlehnung an Loriots „Wir bauen uns ein Atomkraftwerk“*) wird dort am Konzept des Schnellen Brüters für jedermann gebastelt. Dieses neue Wunderwerk der Technik erledigt all unsere Energiesorgen bis in alle Ewigkeit. Statt CO² produzierender Kohlekraftwerke, statt ineffektiver, die Landschaft verschandelnder regenerativer Energieerzeugungsspargel versprechen uns die Heilsbringer aus dem fernen Seattle das Atomkraftwerk für nebenan. Wobei Seattle sehr ungenau ist, denn tatsächlich wird die Idee in Bellevue ausgebrütet, einem Ort nahe Seattle in Sichtweite von Bill dem Gates (der auch ein paar Taler zur Entwicklung beisteuert) oder Amazon-Chef Bezos. Schöne Aussicht im Wortsinne des Ortsnamens. Aber es ist ja nicht nur das Versprechen, endlich die absolut sichere Lösung der Kernspaltung und das auch noch quasi in jedem Garten gefunden zu haben. Nein, der große Clou ist die Lösung des Problems der Entsorgung von Atommüll, weil diese netten kleine Heim-AKWs diesen Jahrtausendmüll angeblich restlos verbrennen und in unendliche Energie umwandeln sollen. Das ist doch jetzt wirklich mal ne frohe Botschaft, mit der die Verwirklichung des Traums, Scheiße in Gold zu verwandeln, verkündet wird.

Für den Weg zurück in die Zukunft haben sich jetzt ja auch unsere britischen Freunde entschieden. Befreit von den Fesseln eurobürokratischer Vorschriften und Regularien, wird die frühere nordenglische Industrielandschaft zu neuer Blüte gelangen. Die Fischer der englischen Küstenorte werden nun endlich wieder Unmengen von Fischen aus den eigentlich leergefischten Fanggründen der Nordsee angeln, was ihnen die letzten vierzig Jahre von den Brüsseler Sesselpubsern verboten worden war. Das stolze Albion, das Land von König Arthur und Prinz Eisenherz wird neu erstehen aus den Ruinen, die die Herrschaft der Europäischen Union hinterlassen hat. Und das alles zur Freude des Herrschers auf der anderen Seite des Atlantiks, den nicht nur die Haarfarbe mit dem englischen Wahlsieger verbindet. Verbinden tut die beiden ja auch ein eigenartiges Wahlsystem, dass die Amerikaner trotz ihrer Loslösung vom Empire vor nahezu einem Vierteljahrtausend weitergeführt haben. Dieses fälschlicherweise als „Mehrheits“wahlsystem bezeichnete Verfahren sorgte in beiden Ländern für eine Verfälschung des Mehrheitswillens. Schon Al Gore hatte bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 mehr Stimmen als George W. Bush und verlor trotzdem. Sogar die nicht sehr beliebte Hillary Clinton gewann stimmenmäßig gegen den Trumptower, hat aber nichts genützt. Keine schönen Aussichten für das nächste (Wahl)Jahr.

Schöne Aussichten beschert uns allerdings die Deutsche Bahn: per Videowandwerbung in der S-Bahnstation habe ich nun morgens noch Zeit für Yoga, weil mich der DB Streckenagent über die Verspätungen der Bahn informiert. Soviel Selbstironie hätte ich die Bahnern gar nicht zugetraut.

Nicht Selbst- aber Ironie ist ja die schon einmal von mir bemängelte Tatsache, dass die Hessischen Verkehrsverbünde dem Land Hessen ein Jahresticket für sage und schreibe 340 Euro pro Landesbedienstetem überlassen (51 Mio € für 150.000 Beschäftigte). Irgendwie sollte mal eine Sammlung unter mindestens 150.000 Nutzern des ÖPNV organisiert werden, wo jede/r 340 Euro einzahlt und dafür dann auch ein Jahresticket erhält. Allemal günstiger als dies immer noch nicht verfügbare 365-Euro-Ticket für alle.

Wär doch mal was für Campact

Montag, 25. November 2019

Immer wieder Sonntags (November 2019)

Ja, da kommt die Erinnerung. Zumindest die Älteren unter der geschätzten Leserschaft mögen sich noch daran erinnern, dass bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrtausends am Sonntag zwar der alkoholgetränkte Frühschoppen vor oder nach dem Kirchgang möglich war, frisches Backwerk fürs sonntägliche Familienfrühstück aber musste am Samstag besorgt und irgendwie möglichst frischeschonend gelagert und dann aufgebacken werden. In meiner norddeutschen Heimat war werktags um 18 Uhr Schluss mit Einkaufslustig und am Samstag, da wo der Papi laut damaliger Gewerkschaftsparole „mir“ gehört, schon um 13 Uhr. Dass nahezu jeder Laden eine Hintertür hatte, an der nach nachbarschaftlicher Gesichtskontrolle auch außerhalb dieser rigiden Zeitbeschränkungen das eine oder andere Gut zu erhalten war, war offenes Geheimnis. Auf dem Land in den damals tatsächlich noch existierenden Dorfläden sowieso. 

Ja, und wer erinnert sich nicht an die Verrenkungen der gesetzgebenden Obrigkeit, das Einkaufsverhalten der immer wieder als mündig beschworenen Staatsbürger zu regulieren. Der „lange Samstag“ oder die Adventsverkaufsöffnungen, dann der lange „Dienstleistungs“-Donnerstag. Als sich dann Anfang des neuen Jahrtausends die Erkenntnis durchsetzte, dass sich das Gesellschaftsbild der tagsüber einkaufenden Hausfrau und des sonntäglichen Familiengottesdienstbesuchs nun doch deutlich gewandelt hatte, durfte fürderhin werktags bis in die Abendstunden dem Konsumrausch gefrönt und am Sonntag zumindest stundenweise frisches Backwerk erstanden werden. Der Bundesgerichtshof brachte nun die nächste Verrenkung zustande, indem er Bäckereien mit Bestuhlung und Bewirtung den ganztägigen Sonntagsverkauf nach dem Gaststättengesetz statt dem Ladenschlussgesetz gestattete. Darf also jetzt mein tegut Supermarkt, in dem sich ein Café-Betrieb angesiedelt hat, nun auch „zubereitete Speisen, die zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt sind“, verkaufen und was zählt dazu? Die verpackte Schokolade, die bei mir zumindest keine lange Überlebenschance hat? Und was ist mit der Flasche Wein, die zum sonntäglichen Mahl gereicht wird? Ist es nicht langsam absurd, dass Menschen, die es nicht geschafft haben, zu den verordneten Zeiten einzukaufen, nun zum Bahnhof, zur Tanke oder zu Flughafen hetzen, um Dinge des täglichen Bedarfs mit der dort herrschenden Ausnahmegenehmigung zu erstehen? Mein oben als damals restriktiv beschriebenes Herkunftsland Schleswig-Holstein hat mit seiner Bäderverordnung gezeigt, dass die heile Feiertagswelt nicht dadurch zusammenbricht, dass dort während der achtmonatigen Urlaubssaison Geschäften die ganztägige Sonntagsöffnung erlaubt ist. 

Mal ganz abgesehen davon, dass sich der Online-Handel durch kein Ladenschlussgesetz regulieren lässt. Da wird fleißig auch sonntags bestellt und in den jeweiligen Versandzentralen verpackt und versendet. Also entweder nimmt man es mit der Sonntagsruhe wirklich ernst: Dann sollten aber alle Tätigkeiten, die nicht der Notfallversorgung dienen, eingestellt werden. Keine geöffneten Tankstellen, kein Kino- oder Gaststättenbesuch, kein Bus- oder Bahnverkehr. Wobei die Kirchen wahrscheinlich hinsichtlich der Gottesdienstöffnungszeiten sicherlich eine Ausnahmeregelung für sich beanspruchen. In der Tat eine absurde Vorstellung. Oder aber man lässt die Sonntagsöffnung ganz allgemein zu und regelt dann aber entsprechend die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Aber diese ganzen Verrenkungen mit den Ausnahmeregelungen machen es doch wirklich nicht besser. Berechtigt der Stehtisch mit der Tasse Kaffee in einer Ecke der Bäckerei zum ganztägigen Sonntagsverkauf oder nur eine Mindestanzahl bestuhlter Tische? Und wie sieht es mit dem Fleischer aus, der an einem Tisch warmen Fleischkäse zu Verzehr anbietet? Oder dem oben erwähnten tegut? Mit diesen Fragen wird sich die deutsche Gerichtsbarkeit die nächsten Jahre noch trefflich beschäftigen können.

Dienstag, 22. Oktober 2019

Scheiß Sturm (Oktober 2019)

Stürme fegen über das Land. Nein über Europa und den ganzen Globus. Aber es sind nicht diese jahreszeitlich und wettermäßig bedingten, in ihrer Stärke und Unberechenbarkeit aber wohl eher dem Klimawandel geschuldeten Stürme mit den netten Namen wie Mortimer oder Dorian oder Lorenzo. Nein, gemeint sind natürlich, wie der germanisierten Überschrift unschwer zu entnehmen, die shitstorms, die durch das weltweite Netz, das World Wide Web also, wabern. Aber im Gegensatz zu einem wirklichen Sturm, verspüren die ganzen Teilnehmer an diesem ominösen Internet eigentlich gar nichts von einem Sturm. Ein meteorologischer Sturm richtet Schäden an ohne Ansehen von Person, Haus und Gut. Ein shitstorm richtet sich eigentlich immer gegen eine Person, die irgendwas falsches gesagt, geschrieben, getwittert, gefacebooked hat. Also falsch in den Augen der Shitstormer. Und nun frage ich mich, wie das eigentlich genau funktioniert.

Also mal angenommen, ich schreibe hier was ganz Schlimmes, also zum Beispiel, dass wir deutsche Soldaten ins syrische Kurdengebiet an die Grenze zur Türkei schicken sollten, um den Terror der türkischen Invasoren und ihrer Helfer zu verhindern. Gut, ich weiß, die deutsche Soldateska ist nicht gerade in einem Zustand, um Herrn Erdogan das Fürchten zu lehren. Immerhin haben wir ihm ja unser ganzes Kriegsgerät verkauft. Aber sei‘s drum, alle, die das für unheimlich kriegstreiberisch ansehen, wollen nun einen Shitstorm gegen mich lostreten. Aber wie? Also was ins Netz stellen. Aber wo? Fatzebook hab ich nicht, Twitter ist mir ziemlich fremd. Und wenn ich dann so rumgoogel oder firefoxe erwischt mich eigentlich auch keiner. Bleibt nur der Leserbrief, sozusagen als analoges Shitlüftchen, der dann auch noch vier Wochen später abgedruckt werden muss, wo sich dann sowieso keiner mehr dran erinnert.*) Aber andererseits ist das auch ganz schön blöd. Da lässt man mal die Sau raus, schreibt was Provokantes, und keinen scheint es zu jucken, weil das Schreiben von Leserbriefen zu anstrengend ist, immerhin muss man da ganze Sätze ausformulieren und vielleicht sogar noch argumentieren. Insofern könnte einen ein schöner Shitstorm auch richtig wichtig machen. Vorausgesetzt, die Leute kriegen es auch mit. 

So wie bei diesem Lachkaspar Dieter Nuhr-im-Ersten. Bei dem ging nach seinen doch etwas doofen Späßchen über unsere Friday-Greta (nun bitte wegen der etwas respektlosen Wortwahl nicht gleich einen Shitstorm veranstalten!) ein Shitstorm los. Wüsste ich nicht, hätte ich es nicht in der Zeitung gelesen. Also schaute ich mir dann seine nächste Sendung an. Und siehe da, mit nahezu stolzgeschwellter Brust verkündete er, wie da ein wahnsinniger Shitstorm über ihn hereingebrochen ist, bloß weil er ein Witzchen über Greta gemacht hätte. Ob’s tatsächlich einen Shitstorm gegeben hat oder nur seine PR-Abteilung etwas aufgeblasen hat, auf jeden Fall triefte ihm sein Stolz ob der durch den (vermeintlichen) Shitstorm hervorgerufenen Wichtigkeit aus allen Poren.

Nun will ich das natürlich nicht verharmlosen oder ins Lächerliche ziehen, wenn in so einem Shitstorm Drohungen, rassistische, menschenverachtende Angriffe und ähnliches laufen. Aber da frage ich mich dann schon, ob diese Anonymität im Internet tatsächlich ein Ausdruck von Freiheit und freier Meinungsäußerung ist. Aber wenn ich jetzt dafür plädiere, dass man Facebook- oder Twitteraccounts nur mit personalisierter Anmeldung wie beim Handy einrichten können sollte, geht bestimmt auch gleich ein Shitstorm los. Also Leute, greift zur Feder und schreibt ganz stürmisch.

Dienstag, 23. Juli 2019

Die zehn Verbote (Juli 2019)

Wenn so ein aufrechter Freidemokrat und manchmal auch ein angstgetriebener christlich sozialer Demokrat den ihnen umfragemäßig davongelaufenen beziehungsweise dicht auf den Fersen hockenden Grünen mal wieder so richtig eins auswischen will, dann bricht das Wörtchen „Verbotspartei“ aus seinem (und manchmal auch ihrem) Munde. Denn mit nichts, so scheinen diese etwas schlichten Gemüter zu denke, kann man dem Wahlvolk einen größeren Horrorschauer den Rücken hinabjagen lassen als mit dieser Wortkombination. Unterstützt werden sie dabei von mutig schreibenden Journalisten wie dem immer wieder zu diesem Behufe in Talkshows á la Markus Lanz eingeladenen Wolfram Weimer oder – fast noch viel besser – jenem neuen konservativen Aushängeschild des Spiegel, Alexander Neubacher, der mit seiner „Gegendarstellung“ genannten Kolumne das linksliberale Spiegelimage so ein bisschen aufmischen soll. Doch was bei seinem Vorgänger Jan Fleischhauer, der mit seinem „Schwarzen Kanal“ über die letzten Jahre diese Rolle trefflich erfüllte, manchesmal ein schön zu lesender Seitenhieb (selten nur Frontalangriff) auf so manche linksgrünantiautoritärfeministischengendergerechten Irrungen und Wirrungen der Vergangenheit und auch der Gegenwart war (immerhin fühlte er sich in jungen Jahren selbst als deren Teil), gerät bei seinem Nachfolger zu einem weinerlichen Schreckenszenario, das der Spiegel nun wirklich nicht verdient hat. 

Als Beleg der bei grüner Machtübernahme auf uns herabbrechende Verbotsbevormundung führt er beispielhaft das Schottergartenverbot an, mit dem die Grünen in der NRW-Stadt Velbert dem freien Bürger verbieten wollen, die üblicherweise mit Pflanzen bewachsenen Vorgärten durch Schotterlandschaften zu ersetzen. Da sollte der gute Mann aber mal ganz schnell nach Frankfurt kommen, wo schon seit Jahren unter dem Verbotsdiktat einer Vorgartensatzung untersagt wird, Grünflächen vor den Wohnhäusern solcherart zu verschandeln. Die durch eine solche naturorientierte Verbotsdiktatur geknechtete Frankfurter Bevölkerung scheint das aber mehrheitlich nicht so beeindruckt zu haben, machten sie die Grünen doch bei der Europawahl zur stärksten Partei. 

Aber viel mehr als Schotterverbot und historische Veggiedayforderung, die ja im übrigen mittlerweile Einzug in die Verkaufsvitrinen selbst der Billigdiscounter gehalten hat, fällt den Verbotsparteianklägern aber eigentlich nicht ein. Doch, da gab es doch noch die Forderung eines Grünen, den Menschen dieses Landes aus klimarettender Sicht nur noch drei Flüge im Jahr zuzubilligen. Der Versuch, aus dieser Beschneidung individueller Freiheit (nur fliegen ist schöner) einen Skandal zu machen, verpuffte allerdings sehr schnell, da ja schließlich die überwiegende Mehrheit so gut wie nie mehr als drei Flüge pro Jahr macht. Wobei an der Idee ja eigentlich was dran ist: ähnlich wie beim CO² Emissionshandel könnte man doch die Gesamtzahl an Flügen, die ja nun bekanntermaßen ein riesiger Klimakiller sind, begrenzen. Jeder Bürger hat ein Freikontingent von zum Beispiel drei Flügen und kann dann nicht benutzte Flugrechte an die verkaufen, die mehr fliegen wollen oder meinen zu müssen. Wie ein solcher Verkauf organisiert werden kann, bedarf noch genauerer Überlegungen. Eins allerdings steht fest, die Ticketmafia á la Viagogo ist vom Handel ausgeschlossen. 

Auf die im Titel angesprochenen zehn Verbote bin ich ja jetzt gar nicht gekommen. Wer also verbotsmäßig fündig werden will, der lese außer der Bibel noch das Strafgesetzbuch, da wimmelt es nur so von Verboten. Und daran sind die Grünen nun wirklich nicht schuld.

Anmerkung: in einer vergangenen Meckerei habe ich unseren grünen Verkehrsminister kritisiert, dass er das Seniorenticket trotz seniler Bettflucht nur für Spätaufsteher machen wollte. Das hat er korrigiert: ab Januar gibt es neben dem normalen Seniorenticket, das ab 9 Uhr gilt, auch eine etwas teurere Variante für die Frühaufsteher. Na also, geht doch.

Montag, 20. Mai 2019

Armes Maintal (Mai 2019)

Nein, nicht weil der Schreiber dieser Zeilen, wie die eine oder andere Leserin (er natürlich auch) vielleicht vermuten mag, seit Anfang dieses Jahres seinen Lebensmittelpunkt in diese beschauliche Vielvölker Kunstgemeinde vor den Toren Frankfurts verlegt hat. Dazu war die Zeit dann doch zu kurz, um das Städtchen meckermäßig aufzumischen. Das aber schafft gerade eine kleines oft rundes, manchmal quadratisches Stückchen saugfähiger Pappe, das gemeinhin in Restaurants, vor allem aber in Kneipen dazu dient, an Trinkgläsern herunterlaufende Flüssigkeiten aufzusaugen. Das passiert natürlich vor allem bei einem frisch gezapften Pils. Und da haben wir den Salat. Denn nun wird aus einem Stückchen Pappe, einem Getränkeuntersetzer ein Bierdeckel. Eigentlich ja noch nichts Schlimmes, bietet er doch auch im genässten Zustand Fläche für so manche Botschaften. Mal lustig, mal bierernst (sic!), mal für Notizen und mehr oder minder lustige Fragestellungen in Ina’s Nacht. 

Den damit verbundenen Aufmerksamkeitswert wollte sich nun auch die Integrationsbeauftragte der Stadt Maintal zunutze machen. Angeregt durch eine Aktion des Vereins Orient-Netzwerk in Freiburg startete sie die Aktion „Islam auf Hessisch“, ließ Bierfilze mit drängenden Fragen zum Islam in hessischer Mundart bedrucken und in den örtlichen Wirtshäusern verteilen. Da wurde dann der gemeine Maintaler Biertrinker mit der Frage konfrontiert, ob denn Fußballer im Ramadan gar nichts essen dürfen oder ob es Weihnachten auch im Islam gibt. Diese und andere tiefsinnige Fragen sollten ihm den Islam näherbringen, der ihm ja doch immer noch etwas fremd ist. Dass er dann die Antwort auf die Fragen nicht in hessischer Mundart sondern als QR-Code auf der Rückseite des Deckels findet, erscheint angesichts der Verfassung, in der unser Bierfreund den Deckel vielleicht umdreht, eine etwas zu optimistische Herausforderung. 

Aber es war nicht dieses etwas verunglückte digitale Integrationsbemühen, das einen Sturm der Entrüstung über die zwischen Frankfurt und Hanau gelegenen Gemeinde hinwegbrausen ließ. Es war der aufmerksame Vorsitzende des Ausländerbeirats, der zwischen den an maurische Ornamente angelehnten Aufdrucken einen Bembel mit dazu gehörigem Rautenglas entdeckte. Das war nun des Guten zu viel! „Bier“deckel ging vielleicht noch, da steht ja auch schon mal ein Glas Wasser drauf. Aber dann noch die Anspielung auf Äppelwoi. Das setzte der Verherrlichung des Alkohols denn nun doch die Krone auf. Denn wie wir uns denken können, steht der muslimische Teil der örtlichen Ausländervertretung dem Alkohol doch eher ablehnend gegenüber. Aber mal ehrlich: welcher Muslim sollte im Wirtshaus bei einem Glas Apfelwein oder so über den Ramadan aufgeklärt werden. Die Zielgruppe sollte ja wohl eher der bierdeutsche Besucher sein, der immer schon mal wissen wollte, „woher komme denn all die Muslime, die wo hier in Hessen leewe“. Zugegeben, der Unterhaltungswert und vor allem der Aufklärungswert ist angesichts bier- oder apfelweinvernebelter Gehirne doch eher begrenzt. Daraus allerdings eine islamfeindliche Verbindung von Alkohol und Religion als gewollten Tabubruch zu konstruieren, wirkt dann doch etwas übertrieben – sozusagen der Sturm im Bierglas. Und dass in der Frage „De Mohammed – was war dann des eichendlisch für aaner?“ eine Verunglimpfung des islamischen Religionsstifters gesehen werden kann, weil auf (nicht in!) seinem Namen ein Bierglas abgestellt wird, zeigt, wie notwendig eine – manchmal auch spaßige – Integrationsarbeit noch ist.

Wer sagt da noch, in Maintal ist nix los?