Sonntag, 28. Juni 2020

Jovi grübelt weiter (Juni 2020)

Darauf haben ja einige Politaktivisten nahezu ein halbes Jahrhundert gewartet: dem Schweinesystem geht es nun wohl endlich an den Kragen. Nun zwar anders, als ursprünglich mal gedacht, dafür aber wohl diesmal mit bedeutend größerer Akzeptanz in der Bevölkerung. Da haben Corona und Herr Tönnies mit seinen Sub-Unterstützern mal was Gutes auf den Weg gebracht.

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Corona ruft neben den Virologen, Epidemiologen, Hygienikern und sonstigen Wissenschaftlern nun auch die Moralhygieniker auf den Plan: Während sogenannte körpernahe Dienstleistungen wie Haare schneiden, bunte Bildchen in Hautpartien stechen, kosmetische Behandlungen diverser Körperteile und Massagen zu Wellness- und Behandlungszwecken im Rahmen der Lockerungsübungen mit Auflagen für unbedenklich erklärt werden, dürfen jene Berufsgruppen, die sich um spezielle Körperregionen in der Mehrzahl männlicher Klienten kümmern, auch weiterhin ihren Beruf nicht ausüben. Die Definition erlaubter Körpernähe wird wohl weniger auf Grund von sachlichen als von moralisierenden Gesichtspunkten bestimmt. Und schon träumen Herr Lauterbach und seine parlamentarische Gefolgschaft vom nordischen Modell des Prostitutionsverbots. Wie war das noch mit dem ältesten Gewerbe?

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Wer bisher gedacht hat, öffentlich-rechtliches Fernsehen steht für seriöse Nachrichten, hätte sich mal die ZDF-heute Sendung vom Abend der Entscheidung über die Vergabe der Fernsehrechte zur Fußballübertragung reinziehen sollen. Lediglich das sendereigene Sportstudio und die ARD-befreundete Sportschau fanden Erwähnung. Beide, wie bekannt, ohne live-Übertragungsrechte. Statt die Auswüchse des Bezahlfernsehens in der Fußballwelt beim Namen zu nennen, werden die Hauptakteure einfach verschwiegen. Nachrichten gehen anders.

Dienstag, 26. Mai 2020

Jovi grübelt zum 500. Jubiläum (Mai 2020)

(Hier eine kleine Auswahl der nur in der Internet-Ausgabe vom strandgut veröffentlichten Grübeleien als Jubiläumsgeschenk)

28.5.2020

Was für eine Narretei! Wo man auch hinhört, wird das Narrativ beschworen. Was bitte ist das eigentlich? Ebenso fragwürdig, wie das dem Fachmenschenmund entfleuchte „containment“. Und schon vor der ganzen Corona Fachbegriffelei gehörte das „commitment“ oder die „compliance“ zum Vokabular der allerneuesten deutschen Welle.

Wer jetzt immer noch nicht weiß, was das alles bedeutet, kann ja danach „googeln“. 

27.5.2020

Ein Phänomen, das schon vor Corona-Zeiten Fragezeichen aufs Gesicht rief, wird nun richtig absurd: in den ÖPNV-Bahnen pflegen viel Menschen, Frauen nicht gerade in der Minderheit, gerne den Platz am Gang zu besetzen. Wohl in der Hoffnung, dass sich dann kein ungebetener Mitfahrer, vor allem männlich Geschlechts, einfach neben sie setzt. Nun aber bei bestehendem Abstandsgebot jeweils nur die Gangplätze zu besetzen, verringert die sozial-physische Distanz von möglichen 1,8 Meter auf 80 cm. Und das, obwohl sich derzeit eh kein Mensch auf dieselbe Bank quetscht.

26.5.2020

Wer rettet hier eigentlich wen? Ein Herr Thiele, Inhaber der Firma Knorr-Bremse AG und Multimilliardär, kauft kräftig in den Corona-Keller gefallene Lufthansa-Aktien (ist mit 10 % nun größter Einzel-Aktionär), um nun durch die staatliche Stütze, unser aller Geld also, zum großen Corona-Gewinnler zu werden, ohne selbst zur Rettung der Lufthansa beizutragen. Garantien für Spekulanten aber nicht für die Beschäftigten – das ist Soziale Marktwirtschaft á la Altmaier. Von klimapolitischen Vorgaben ganz zu schweigen, er will halt keinen Eingriff ins operative Geschäft. Wir, die Geldgeber, aber schon!

25.5.2020

Man lernt ja nie aus: Nachdem ich nach der Wochenend-Lektüre des Lidl-Prospekts schwer über die Ankündigung eines veganen Weines herziehen wollte – was an Weintrauben ist denn nicht vegan? -, bewahrte mich Herr Google vor höhnischem Gelächter eingefleischter (häh??) Veganer. Tatsächlich wird in der Weinproduktion mit tierischen Produkten hantiert. Gelantine, Hühnereiweiß oder gar Fischbestandteile werden zur Klärung des Mostes verwendet. Mal ehrlich: wäre es da nicht eher angebracht, solcherart verhunzten Wein als „mit tierischen Produkten versehen“ auszuzeichnen, statt den sauberen Wein, für den es leider noch kein deutsches Reinheitsgebot gibt, als vegane Ausnahmeerscheinung zu etikettieren? Das wäre doch mal ein schönes Betätigungsfeld für die frühere Weinkönigin Julia Klöckner.

7.5.2020

Nachdem Markus Lanz zu Beginn seiner Talkkarriere im ZDF Frauen nur in Ausnahmefällen und wenn, dann nur jeweils eine, in seiner erlauchte Männergästerunde zuließ, schafft er es mittlerweile, hin und wieder auch mal zwei Frauen einzuladen (es darf nicht verschwiegen werden , dass er einmal sogar ein reine Frauenrunde versammelt hatte). Aber auch hier hat er seine Lieblinge: die WELT-Frauen Claudia Kade und Dagmar Rosenfeld. Nun scheint denen aber der Rang von der Virologin Melanie Brinkmann abgelaufen zu werden. Vom Frauenstil her ist er sich aber treu geblieben – im übrigen auch seiner eigenen Auslegung genderspezifischen Sprachgebrauchs: so schafft er es immer wieder, eine Frau mit der Formulierung anzukündigen, „SIE ist jemand, DER … (das und das gesagt hat)“.

30.4.2020

Was geht eigentlich diesen Filmemachern durch den Kopf, wenn sie zunehmend möglichst kleingeschrieben WhatsApp- oder sonstige Messenger-Nachrichten in irgendwelche Handlungsfäden einblenden? Sind sie nur modernistisch-digitales Schmankerl oder dramaturgischer Bestandteil? Lesbar zumindest sind sie meistens nicht. Ebenso sollte Film- und Fernsehmacher mal darüber nachdenken, ob Schrifteinblendungen am unteren Bildrand wirklich in weißer Schrift auf ebenso weißem Hintergrund erfolgen müssen.

28.4.2020

Nun will ja die SPD-Vorsitzende, der Name fällt mir grade nicht ein, dass jeder Schüler und jede Schülerin ein Tablet bekommt von wegen der Chancengleichheit. Da stellen sich dann natürlich gleich viele Fragen: sollen es Apple iPads sein oder doch lieber Android Tablets, die immerhin mit dem etwas weiter verbreiteten Betriebssystem funktionieren und – soweit nicht von Samsung – auch preisgünstiger zu haben sind. Das führt dann aber gleich wieder zur sozialen Spaltung. Hier die exklusiv von daheim ausgestatteten Apfelkinder, dort das aus knappen öffentlichen Mitteln ausgestattete Google-Prekariat. Aber vielleicht macht Apple ja ne großzügige Spende von all den ersparten Steuermillionen (oder waren es Milliarden?).

27.4.2020

Da kommt man doch echt ins Grübeln: So schreibt die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung über einen norwegischen Hedgefond-Manager, dieser habe sich in rund 30 Jahren als Investor in London ein Privatvermögen von rund einer Milliarde Euro – und nun hört genau hin – »erarbeitet«. Irgendwas muss ich in den vergangenen 30 Jahren falsch gearbeitet haben.

Soweit mal. Herzlichen Glückwunsch liebes strandgut zur 500. Ausgabe!

Dienstag, 24. März 2020

Kondome, Knarren, Klopapier (März 2020)

Ob’s jetzt wirklich so stimmt, dass die Franzosen in Zeiten der Corona-Einkaufs-Panik tatsächlich vor allem Kondome hamstern und die eher republikanisch angehauchten Amis die Waffenvorräte in amerikanischen Supermärkten leerkaufen, das sei mal dahingestellt. Würde zumindest unseren Vorurteilen, unserem national profiling sozusagen, total entsprechen. Richtig aber ist, und das ist ja in den letzten Tagen und Wochen sattsam durch die Medien und die eigene Erfahrungswelt gegangen, dass die größte Angst der leicht anal fixierten Deutschen in der Corona Krise ein nicht reinlich geputzter Arsch ist. Wobei zum einen sich gerade an diesem Beispiel die Integrationsbemühungen unserer migrationshintergründigen Nachbarn als gelungen erwiesen haben. Denn deren Einkaufswagen waren genauso mit supersoft 3lagig Wohlfühlpapier überladen wie die der Biodeutschen. Wobei Letztere ausgerechnet das ebenso benannte gräulichfarbene und etwas harte Enddarmpflegeprodukt (diffamierend auch als Schmirgelpapier bezeichnet) erst dann in den Wagen packten, als absolut kein blütenweißer 4lagiger Poschmeichler mehr zu kriegen war. Beruhigend dann allerdings die Bilder leergekaufter Klopapierregale aus Downunder: auch die Aussis haben es mit krisenbedingter hintergründiger Reinlichkeit. 

Ja, auch ich komme nicht daran vorbei, meinen Senf zum derzeitig alles beherrschenden Thema dazu zu geben. Auch wenn ein monatlich erscheinendes Blatt angesichts täglich, wenn nicht gar stündlich wechselnder Erkenntnisse, Einschätzungen und Entscheidungen nicht gerade prädestiniert ist, neue Wege aus der krisengeschüttelten Situation zu weisen. Vor allem auch, nachdem sich die von uns ausgegrabene Studie der Athener Universität unter Leitung von Professor Niklas Kaffenion, nach der reichlicher Kaffeegenuss die vornehmlich im Rachenraum angesiedelten Coronaviren durch das Koffein unschädlich machen sollte, als fake und ausgemachter Blödsinn herausgestellt hatte. Ebenso stimmt es wohl auch nicht, dass die hohe Nikotinkonzentration im Munde von Kettenrauchern dem heimtückischen Virus den Garaus machen. Auch die Behauptung, dass Greta hinter allem steckt, ist natürlich Schwachsinn. Allerdings ist der von Fridays4Future zu Recht angeprangerte Flugverkehr ebenso eingebrochen wie die klimaschädlichen Kreuzfahrten. Nicht von der Hand zu weisen ist allerdings die klammheimliche Genugtuung von Kevin Kühnert, der seinem Ziel der Verstaatlichung von BMW ein ganzes Stück näher gekommen scheint. Denn im Gegensatz zur boomenden (Klo-)Papierindustrie hamstern nur sehr wenige Leute 7er BMWs. 

Nun frage ich mich natürlich, wie all die schlauen Virenwissenschaftler, denen unsere Politiker so willfährig folgen (das würde ich mir bei der Klimadebatte auch mal wünschen), sich vorstellen, wie denn die ganzen von ihnen mehrheitlich empfohlenen Maßnahmen bis zur Entwicklung von wirksamen Medikamenten und Impfstoffen ohne soziale, politische und wirtschaftliche Verwerfungen durchgehalten werden können. Im Gegensatz zu den Klimawissenschaftlern, die eine über 99prozentige gemeinsame Einschätzung haben, gibt es bei den ViWis doch eine nicht überhörbare Anzahl, die diese gesellschaftliche Totalisolierung inklusive Schul- und Kitaschließung durchaus kritisch sehen. Die tauchen aber in all den ARD/ZDF-Specials nicht auf. Da gibt’s nur einen Papst (Drosten) und einen Möchtegern-Papst (Kekulé). Ich will die Gefährdung durch dieses neue und unbekannte Virus nicht bagatellisieren. Aber leere Straßen und S-Bahnen, geschlossene Bekleidungsschuppen bei gleichzeitig geöffneten Baumärkten, scheinen unseren Herrn Covid-19 nicht sonderlich zu beeindrucken. Und was, wenn die gewünschte Abflachung der Infektionskurve erreicht ist? Dann alles wieder auf Anfang? Oder wie?

Aber schön ist die Ruhe auf den Straßen und vor allem die in der Luft schon. Oder?

Montag, 24. Februar 2020

Die Stunde der Experten (Februar 2020)

Große Ereignisse, verrückte und schreckliche, rufen sie allenthalben wieder auf den Plan, vornehmlich in den wichtigtuerischen Talkshows, die insbesondere die öffentlich-rechtlichen TV-Stationen überfluten: die Experten für die besonderen Situationen. Da wirbelt die thüringische Politposse mal kurz die Republik durcheinander und die Politikerklärer stehen Schlange. Geschmückt natürlich mit dem Professorentitel für Politikwissenschaft oder manches Mal mit dem obskuren Untertitel „Politikberater“ werden Einsichten unters Volk gestreut, die diesem schon nach den ersten beiden Meldungen in Tagesschau und heute-Nachrichten klar waren. Die Erben der alten DDR-Blockparteien LDPD und Ost-CDU haben sich auf ein schmutziges Spiel mit der rechts-rassistischen AFD eigelassen, um das thüringische Volk vor der erneuten Machtübernahme durch einen verkappten Sozi aus dem Westen zu bewahren, der ja schon die Jahre zuvor mit seiner SED-Nachfolgeorganisation gemeinsam mit SPD und Grünen den schönen Freistaat zurück in der real existierenden Sozialismus schubsen wollte. Und nun rudern sie erschreckt zurück, die selbsternannten Vertreter der „Mitte“, zerlegen sich selbst, und die Politikexperten erklären dem staunenden Fußvolk, dass die Parteien der Mitte sich selbst zerlegen. Welch ein Erkenntnisgewinn.

Und auch nach den schrecklichen rassistisch motivierten und von rechten Verbaltätern mit zu verantwortenden Morden in Hanau haben wir sie wieder auch dem Bildschirm, die Terrorismusexperten, die uns alle Hintergründe, vor allem aber die naheliegenden noch einmal mit wichtigem Gesichtsausdruck erklären. Da werden sicherlich auch viele richtige Analysen geliefert, nur unterscheiden die sich häufig von denen vorangegangener Terrortaten nur durch den Austausch der jeweiligen Daten und Namen. Aber wir brauchen mehr als nur die Hinweise auf eine immer gewaltbereitere rechte Szene und auf eine die sie legitimierende Sprache einer Partei, in der Faschisten das Sagen haben. Wir müssen auch den Mut haben, jene, die diese Partei wählen, nicht als verlorene Schäfchen zu betrachten, die es zurück zu gewinnen gilt, sondern sie als ideologische Unterstützer zu brandmarken. Die Hetzer und Hasser müssen sich für ihre verbale Gewalt auf den diversen Plattformen und in den sogenannten sozialen Medien verantworten und dürfen sich nicht im Schutz der Anonymität verbergen. Wieso muss ich mich beim Kauf einer Handy-Simkarte ausweisen und legitimieren, beim Einrichten eines facebook-accounts aber nicht? Das ist keine Einschränkung der freien Meinungsäußerung, aber der Zwang, Verantwortung für eben diese Meinungsäußerung zu übernehmen. Wir müssen auch fragen, wieso vereinsmäßiges Schießen mit todbringenden Waffen als Sport verharmlost wird und die Vereinsmitglieder dann diese Waffen und die Munition auch noch mit nach Hause nehmen dürfen. Wir müssen aber auch immer jene mit in die Verantwortung nehmen, die durch Einschränkung rechtsstaatlicher Normen (Orban, Trump) oder der Menschenrechte (Erdogan) die Herabsetzung der Hemmschwelle zu gewaltbereitem Handeln legitimieren

Aber – und jetzt kommt der Glatteisteil – ist nicht auch der leichtfertige Gebrauch des Rassismusvorwurfs mit verantwortlich, den wahren Rassismus zu verharmlosen? Islamkritik, Religionskritik überhaupt, ja sogar Religionsfeindlichkeit wird ja erst da zum Rassismus, wo ich den Angehörigen dieser Glaubensrichtungen die Existenzberechtigung abspreche. Und es ist kein Rassismus, wenn ich die Überlegungen eines Imams, in Griesheim ein muslimisches Schwimmbad zu bauen, für bescheuert halte (was für ein katholisches genauso gilt).

Dienstag, 21. Januar 2020

Reizend (Januar 2020)

Nun haben sie also wieder zugeschlagen, die Wächter des guten beziehungsweise des schlechten Wortes. Aus mehreren hundert Vorschlägen, die ihnen von eifrigen Bürgerinnen und Bürgern zugesandt worden waren, wählten die Gralshüter des guten Umgangstons das Unwort des Jahres wie sie es geflissentlich seit 1991 tun. Die Jury, neben einer Professorin und drei Professoren auch der Vertreter des guten linken Gewissens der Frankfurter Rundschau (ihr wisst schon …), entschieden sich für das Wort „Klimahysterie“. Sicherlich, das ist eine Wortschöpfung, mit der den Mahnern der realen Gefahr eines Klimawandels rhetorisch eins übergebraten werden soll. Das finden wir natürlich nicht gut, vor allem weil der Wortteil „Hysterie“ ja nun einen miesen Beigeschmack hat, wurde er im 18. und großen Teilen des 19. Jahrhunderts doch vor allem Frauen als Merkmal einer psychischen Störung zugeschrieben. Heute wird es mehr im Sinne von übertriebener Aufgeregtheit verwendet, wobei der frauenfeindliche Aspekt bei Verwendern des Begriffs gerade angesichts der Frontfrauen Greta (weltweit) und Luisa (deutschlandweit) sicherlich auch eine Rolle spielt. Und das nicht nu(h)r bei der AFD. Aber ist es deshalb ein Unwort – wobei mir der Begriff selbst nicht wirklich klar ist. Es ist ein Wort. Und zwar ein Wort, dass in einer politischen Auseinandersetzung dem Meinungsgegner an den Kopf geworfen wird. Ja und? Aber der Gebrauch dieses Wortes sagt sehr deutlich etwas über die Person aus, die es benutzt. 

Viel schlimmer finde ich da jene, die scheinbar neutrale, womöglich sogar positiv besetzte Worte verwenden, um damit fragwürdigen politischen Zielen einen Heiligschein zu verpassen. Eins dieser Worte, das derzeit fröhliche Urständ feiert, ist der „Anreiz“. Als Antipode zum „Verbot“ wird es im politischen Sprachgebrauch vor allem dazu verwendet, den Menschen vorzugaukeln, sie in ihrer freien Entscheidung durch kleine (oder auch größere) Leckerlies in eine bestimmte Handlungsrichtung beeinflussen zu können. Also wird dem Autokäufer ein 5000-Euro-Anreiz gegeben, um sich damit ein E-Auto zu kaufen, das dann aber wegen seiner schweren Batterien natürlich ein übergroßer Stadtpanzer wird. Der „Erfolg“ solcherart Anreize ist, dass mehr SUVs als je zuvor gekauft werden (allerdings die wenigsten mit Batterieantrieb), aber auch jene geförderten hybriden Autos, die eigentlich nur die wenigste Zeit elektrisch fahren, die Hauptzeit aber stinknormal verbrennend unterwegs sind. Das wird dann als leuchtendes Beispiel der hysterischen Verbotsforderung, ab 2030 nur noch abgasfrei Auto zuzulassen, entgegengehalten. Da wird der Anreiz zwar nicht zum Unwort aber zum Unsinn. Womöglich haben die Anreizprotagonisten da auch die Politik der Firma Microsoft vor Augen: die gaben den Nutzern von Windows 7 und 8 die Möglichkeit - also den Anreiz -, kostenlos auf Windows 10 umzusteigen. Hat aber bei mehr als einem Viertel der Windowsbenutzer nix geholfen, die sind bei der 7er Version geblieben. Und was macht man dann? Nein, kein Verbot, geht ja auch gar nicht. Man stellt einfach den Support ein, gibt das System den Hackern frei. Und schon entsteht Panik. Daran sollten sich die Anreizpolitiker mal ein Beispiel nehmen. 

Aber ganz komme ich an meinem Lieblingsthema „Verbote“ doch nicht vorbei, ist es doch zwangsläufig mit dem „Anreiz“ verbunden. Wer – wie allen voran der Freigeist Lindner – staatliche Regulierungen, die ihm nicht passen, mit einem negativ besetzten Wort „Verbot“ diskreditieren, gibt all jenen, die sich über Verbote wie z.B. der Gewaltausübung gegen Minderheiten hinwegsetzen, den ideologischen Ritterschlag.

Dienstag, 17. Dezember 2019

Zurück in die Zukunft (Dezember 2019)

Wer hätte das gedacht: die Renaissance der Alchemie, jener obskuren mittelalterlichen „Wissenschaft“, die unter anderem zum Ziel hatte, aus Scheiße Gold zu machen, sie feiert fröhliche Urständ in den HighTech-Gefilden an der us-amerikanischen Westküste. In Anlehnung an Loriots „Wir bauen uns ein Atomkraftwerk“*) wird dort am Konzept des Schnellen Brüters für jedermann gebastelt. Dieses neue Wunderwerk der Technik erledigt all unsere Energiesorgen bis in alle Ewigkeit. Statt CO² produzierender Kohlekraftwerke, statt ineffektiver, die Landschaft verschandelnder regenerativer Energieerzeugungsspargel versprechen uns die Heilsbringer aus dem fernen Seattle das Atomkraftwerk für nebenan. Wobei Seattle sehr ungenau ist, denn tatsächlich wird die Idee in Bellevue ausgebrütet, einem Ort nahe Seattle in Sichtweite von Bill dem Gates (der auch ein paar Taler zur Entwicklung beisteuert) oder Amazon-Chef Bezos. Schöne Aussicht im Wortsinne des Ortsnamens. Aber es ist ja nicht nur das Versprechen, endlich die absolut sichere Lösung der Kernspaltung und das auch noch quasi in jedem Garten gefunden zu haben. Nein, der große Clou ist die Lösung des Problems der Entsorgung von Atommüll, weil diese netten kleine Heim-AKWs diesen Jahrtausendmüll angeblich restlos verbrennen und in unendliche Energie umwandeln sollen. Das ist doch jetzt wirklich mal ne frohe Botschaft, mit der die Verwirklichung des Traums, Scheiße in Gold zu verwandeln, verkündet wird.

Für den Weg zurück in die Zukunft haben sich jetzt ja auch unsere britischen Freunde entschieden. Befreit von den Fesseln eurobürokratischer Vorschriften und Regularien, wird die frühere nordenglische Industrielandschaft zu neuer Blüte gelangen. Die Fischer der englischen Küstenorte werden nun endlich wieder Unmengen von Fischen aus den eigentlich leergefischten Fanggründen der Nordsee angeln, was ihnen die letzten vierzig Jahre von den Brüsseler Sesselpubsern verboten worden war. Das stolze Albion, das Land von König Arthur und Prinz Eisenherz wird neu erstehen aus den Ruinen, die die Herrschaft der Europäischen Union hinterlassen hat. Und das alles zur Freude des Herrschers auf der anderen Seite des Atlantiks, den nicht nur die Haarfarbe mit dem englischen Wahlsieger verbindet. Verbinden tut die beiden ja auch ein eigenartiges Wahlsystem, dass die Amerikaner trotz ihrer Loslösung vom Empire vor nahezu einem Vierteljahrtausend weitergeführt haben. Dieses fälschlicherweise als „Mehrheits“wahlsystem bezeichnete Verfahren sorgte in beiden Ländern für eine Verfälschung des Mehrheitswillens. Schon Al Gore hatte bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2000 mehr Stimmen als George W. Bush und verlor trotzdem. Sogar die nicht sehr beliebte Hillary Clinton gewann stimmenmäßig gegen den Trumptower, hat aber nichts genützt. Keine schönen Aussichten für das nächste (Wahl)Jahr.

Schöne Aussichten beschert uns allerdings die Deutsche Bahn: per Videowandwerbung in der S-Bahnstation habe ich nun morgens noch Zeit für Yoga, weil mich der DB Streckenagent über die Verspätungen der Bahn informiert. Soviel Selbstironie hätte ich die Bahnern gar nicht zugetraut.

Nicht Selbst- aber Ironie ist ja die schon einmal von mir bemängelte Tatsache, dass die Hessischen Verkehrsverbünde dem Land Hessen ein Jahresticket für sage und schreibe 340 Euro pro Landesbedienstetem überlassen (51 Mio € für 150.000 Beschäftigte). Irgendwie sollte mal eine Sammlung unter mindestens 150.000 Nutzern des ÖPNV organisiert werden, wo jede/r 340 Euro einzahlt und dafür dann auch ein Jahresticket erhält. Allemal günstiger als dies immer noch nicht verfügbare 365-Euro-Ticket für alle.

Wär doch mal was für Campact

Montag, 25. November 2019

Immer wieder Sonntags (November 2019)

Ja, da kommt die Erinnerung. Zumindest die Älteren unter der geschätzten Leserschaft mögen sich noch daran erinnern, dass bis in die neunziger Jahre des vergangenen Jahrtausends am Sonntag zwar der alkoholgetränkte Frühschoppen vor oder nach dem Kirchgang möglich war, frisches Backwerk fürs sonntägliche Familienfrühstück aber musste am Samstag besorgt und irgendwie möglichst frischeschonend gelagert und dann aufgebacken werden. In meiner norddeutschen Heimat war werktags um 18 Uhr Schluss mit Einkaufslustig und am Samstag, da wo der Papi laut damaliger Gewerkschaftsparole „mir“ gehört, schon um 13 Uhr. Dass nahezu jeder Laden eine Hintertür hatte, an der nach nachbarschaftlicher Gesichtskontrolle auch außerhalb dieser rigiden Zeitbeschränkungen das eine oder andere Gut zu erhalten war, war offenes Geheimnis. Auf dem Land in den damals tatsächlich noch existierenden Dorfläden sowieso. 

Ja, und wer erinnert sich nicht an die Verrenkungen der gesetzgebenden Obrigkeit, das Einkaufsverhalten der immer wieder als mündig beschworenen Staatsbürger zu regulieren. Der „lange Samstag“ oder die Adventsverkaufsöffnungen, dann der lange „Dienstleistungs“-Donnerstag. Als sich dann Anfang des neuen Jahrtausends die Erkenntnis durchsetzte, dass sich das Gesellschaftsbild der tagsüber einkaufenden Hausfrau und des sonntäglichen Familiengottesdienstbesuchs nun doch deutlich gewandelt hatte, durfte fürderhin werktags bis in die Abendstunden dem Konsumrausch gefrönt und am Sonntag zumindest stundenweise frisches Backwerk erstanden werden. Der Bundesgerichtshof brachte nun die nächste Verrenkung zustande, indem er Bäckereien mit Bestuhlung und Bewirtung den ganztägigen Sonntagsverkauf nach dem Gaststättengesetz statt dem Ladenschlussgesetz gestattete. Darf also jetzt mein tegut Supermarkt, in dem sich ein Café-Betrieb angesiedelt hat, nun auch „zubereitete Speisen, die zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt sind“, verkaufen und was zählt dazu? Die verpackte Schokolade, die bei mir zumindest keine lange Überlebenschance hat? Und was ist mit der Flasche Wein, die zum sonntäglichen Mahl gereicht wird? Ist es nicht langsam absurd, dass Menschen, die es nicht geschafft haben, zu den verordneten Zeiten einzukaufen, nun zum Bahnhof, zur Tanke oder zu Flughafen hetzen, um Dinge des täglichen Bedarfs mit der dort herrschenden Ausnahmegenehmigung zu erstehen? Mein oben als damals restriktiv beschriebenes Herkunftsland Schleswig-Holstein hat mit seiner Bäderverordnung gezeigt, dass die heile Feiertagswelt nicht dadurch zusammenbricht, dass dort während der achtmonatigen Urlaubssaison Geschäften die ganztägige Sonntagsöffnung erlaubt ist. 

Mal ganz abgesehen davon, dass sich der Online-Handel durch kein Ladenschlussgesetz regulieren lässt. Da wird fleißig auch sonntags bestellt und in den jeweiligen Versandzentralen verpackt und versendet. Also entweder nimmt man es mit der Sonntagsruhe wirklich ernst: Dann sollten aber alle Tätigkeiten, die nicht der Notfallversorgung dienen, eingestellt werden. Keine geöffneten Tankstellen, kein Kino- oder Gaststättenbesuch, kein Bus- oder Bahnverkehr. Wobei die Kirchen wahrscheinlich hinsichtlich der Gottesdienstöffnungszeiten sicherlich eine Ausnahmeregelung für sich beanspruchen. In der Tat eine absurde Vorstellung. Oder aber man lässt die Sonntagsöffnung ganz allgemein zu und regelt dann aber entsprechend die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen. Aber diese ganzen Verrenkungen mit den Ausnahmeregelungen machen es doch wirklich nicht besser. Berechtigt der Stehtisch mit der Tasse Kaffee in einer Ecke der Bäckerei zum ganztägigen Sonntagsverkauf oder nur eine Mindestanzahl bestuhlter Tische? Und wie sieht es mit dem Fleischer aus, der an einem Tisch warmen Fleischkäse zu Verzehr anbietet? Oder dem oben erwähnten tegut? Mit diesen Fragen wird sich die deutsche Gerichtsbarkeit die nächsten Jahre noch trefflich beschäftigen können.